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gedrungenen Rechte begnügt sich Verfasser unvermuthet mit der Forderung
der blossen Acceptation seitens der Unterworfenen. Das Sichzufriedengeben
mit dem Unabänderlichen ist aber doch etwas Anderes als Ueberzeugung!
Verfasser begibt sich hier ganz auf den Boden BiErLInge’s, dessen An-
erkennungstheorie er Eingangs bekämpft.
Referent theilt die Meinung des Verfassers, dass die Wurzel des
Rechtes in der Vorstellungswelt zu suchen sei. Das Recht beruht auf
Vorstellungen darüber, was in einem bestimmten Falle geschehen solle.
Ob man diese Vorstellungen Ueberzeugungen (Verf) oder Anschauungen
(Ref.) nennt, kann gleichgültig sein. Dass diese Ueberzeugungen aber
auf einer Werthschätzung der (mit dem Verf. zu reden) Bewusstseins-
concretion beruhen, widerspricht der psychologischen Erfahrung und der
Logik überhaupt. Die Werthschätzung setzt nicht nur ein Object der
Beobachtung voraus; Werth ist ein relativer Begriff, es hat etwas Werth
gegenüber Anderem, das unwerth oder weniger werth erscheint. Die Werth-
schätzung wägt die vorgestellten verschiedenen Möglichkeiten gegeneinander
ab, wobei die verschiedenartigsten Massstäbe der Beurtheilung herangezogen
werden können. Verfasser fasst eine Reihe solcher durch den Ausdruck
„Werth der Bewusstseinsconcretion“ zusammen. Dass es bei dieser Werth-
schätzung auch ein Kriterium absoluter Natur gibt (das Rechtsgefühl) deutet
Verfasser nur an (S. 31). — Der Verfasser ist sich wohl bewusst, dass der
Angelpunkt der ganzen Frage in dem Begriffe der Geltung liegt; die von
ihm gegebene Begriffsbestimmung ist jedoch nach Ansicht des Referenten
verfehlt. Verfasser gibt später S. 64 selbst zu, dass unter Geltung die That-
sache des Befolgtwerdens verstanden werden könne und sobald man die
Geltung nicht als bloss psychische Erscheinung, sondern auch als körperliche
That auffasst, ist die Herbeiziehung des Geltungsmerkmales in die Begriffs-
bestimmung des Rechtes unzutreffend.. Wenn die Ueberzeugung davon,
was geschehen soll, das Recht ausmacht, so besteht schon eine zeitliche
Trennung zwischen dieser Ueberzeugung, ja auch zwischen dem mit derselben
verbundenen Willen und der Ausführung desjenigen, was gemäss der Ueber-
zeugung geschehen soll. Es wäre ja denkbar, dass gerade in den einfachen
Verhältnissen, in denen das ursprüngliche Recht herrscht, ein Fall, worüber
sich eine Ueberzeugung gebildet hat, zufälliger Weise nicht vorkommt,
bezw. nicht wiederkehrt, dass dasjenige, was der Ueberzeugung gemäss ge-
schehen sollte in Folge zutälliger Hindernisse nicht geschehen kann. Und
wenn das Recht geltendes Recht ist, und somit nur in demjenigen gefunden
wird, was der Richter bei seiner Entscheidung anwendet, welche Bedeutung
kommt dann dem Gesetze zu bei vorhandener Discrepanz zwischen demselben
und dem richterlich Angewendeten? Ist, enthält das Gesetz dann nicht mehr
Recht? Gerade die Erkenntniss der Möglichkeit einer solchen Discrepanz muss
dazu führen, eine Unterscheidung zu treffen zwischen Recht, das gelten soll,
Recht, das nicht gelten soll und Recht, das gilt. Das Gesetzesrecht wäre gelten-