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Wenn der König vor Erlass der Verfassungsurkunde das
Recht der Gesetzgebung und das Recht der Gnade als zwei selb-
ständige, von einander verschiedene Rechte hatte und die Ver-
fassungsurkunde das erste dieser beiden Rechte gewissen Beschrän-
kungen unterworfen hat, so kann daraus nicht die Folgerung
hergeleitet werden, dass auch das andere Recht beschränkt oder
aufgehoben sei.
2) Man beruft sich ferner darauf, dass in dem Titel III
der Verf.-Urk., welcher die Ueberschrift „Vom Könige“ trägt
und von den Rechten des Königs handelt, im Art. 49 das Recht
der Begnadigung und Strafmilderung ausdrücklich erwähnt wird,
dagegen das Recht zu finanziellen (oder anderen administrativen)
Gnadenerlassen nicht. Hier ist nun zunächst daran zu erinnern,
dass dieser Titel — was aus der Entstehungsgeschichte der Ver-
fassung sich als die unzweifelhafte Absicht der gesetzgebenden
Faktoren ergiebt — keine vollständige Aufzählung aller könig-
lichen Rechte enthält. Dem Könige sind vielmehr alle Rechte
geblieben, welche ihm durch die Verfassung nicht entzogen sind;
einer ausdrücklichen Bestätigung durch Aufnahme in die Ver-
fassungsurkunde bedurfte es zur Fortdauer dieser Rechte nicht.
Thatsächlich übt der König überaus zahlreiche Rechte aus, welche
in dem kurzen Katalog der Verfassungsurkunde nicht aufgezählt
sind. Die positive Erwähnung eines königlichen Rechts in der
Verfassungsurkunde hat in den meisten Fällen eine besondere
Veranlassung; nicht selten erfolgt sie nur deshalb, um eine Be-
schränkung daran zu knüpfen. Im Allgemeinen kann daher die
Nichterwähnung eines Rechts des Königs nicht als Aufhebung
desselben gedeutet werden.
Hauses 1890/91, S. 427. Vgl. auch SeypeL, Bayr. Staatsr. Bd. IV, S. 403.
Dagegen wird der Gegensatz zwischen dem Dispensationsrecht und dem
Ginadenrecht hervorgehoben von Jo&r, Annalen 1891, S. 419. Arnpr, Deutsch.
Wochenbl. S. 610f., sowie vom Finanzminist. MiqueL und dem Abg. ScHU-
MACHER in den Stenogr. Berichten a. a. O. S. 417 und 418.