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stellung bedeutet und dass demnach der Sinn des Art. 101 ledig-
lich der ist, dass die bestehenden Steuerprivilegien abgeschafft
und neue nicht mehr eingeführt werden sollen. Gmnadenakte
schaffen aber keine Steuerprivilegien; sie beseitigen nicht den
rechtlichen Verpflichtungsgrund, sondern sie enthalten den Ver-
zicht auf die Erfüllung einer rechtlich begründeten Verpflich-
tung?t).
4) Andererseits darf man sich m. E. auch nicht auf den
Art. 109 berufen, um die Fortdauer des Gnadenrechts zu er-
weisen??). Denn wenn dieser Artikel alle Bestimmungen der be-
stehenden Gesetzbücher, einzelne Gesetze und Verordnungen bis
zu ihrer Abänderung durch ein Gesetz in Kraft erhält, so erkennt
er lediglich die „formelle Gesetzeskraft“ ausdrücklich
an. Das Gnadenrecht des Königs war zwar in dem Verfassungs-
recht des preussischen Staates von Alters her begründet, aber
es beruhte nicht auf einer Bestimmung eines Gesetzbuches, eines
Einzelgesetzes oder einer Verordnung, sondern es stand und steht
neben der Gesetzgebung. Der Grundsatz, dass die bestehenden
Gesetze gelten, bis sie in der Form des Gesetzes abgeändert
werden, enthält ebensowenig eine Anerkennung wie einen Aus-
schluss des Gnadenrechts. Das Gnadenrecht schränkt allerdings
die unbedingte und rücksichtslose Herrschaft des Gesetzes inso-
fern ein, als das Gebiet der Gnade überhaupt dem Gebiete des
Rechts entgegentritt; die Beseitigung der Gnade wäre daher eine
Erweiterung des Herrschaftsgebietes des Rechts und mithin eine
Abänderung der Kraft der Gesetze. Man könnte daher argumen-
2!) Wenn BoRNHAK a. a. O. S. 318 behauptet, dass das entscheidende
Gewicht nicht auf Art. 101, sondern auf Art. 100 der Verf.-Urk. zu legen
sei, so ist dies — wenigstens für mich — unverständlich. Art. 100 erklärt,
dass Steuern und Abgaben nur auf Grund des Etats oder auf Grund besonderer
Gesetze erhoben werden dürfen, aber er sagt gar Nichts darüber, unter
welchen Voraussetzungen sie erlassen werden dürfen.
22) Die Berufung auf Art. 109 zum Erweise des Rechts der Krone zu
finanziellen Gnadenakten ist in den Landtagsverhandlungen traditionell.