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und Prüfung sind doch zwei ganz verschiedene Dinge. Es kommen
gewiss in einer grossen und verwickelten Staatsverwaltung mit
einem unübersehbaren Heere von Beamten nicht wenige Ver-
letzungen von Gesetzen vor, welche dem Landtage, ja oft auch
dem Minister selbst, unbekannt bleiben. Kommt ein solcher
Vorfall durch die Zeitungen oder durch Privatmittheilungen zur
Kenntniss eines Abgeordneten, so kann er die Angelegenheit
bei geeigneter (felegenheit zur Sprache bringen, zum Gegenstande
einer Anfrage, einer Interpellation machen. Warum sollte für
(nadenerlasse ein anderes Recht bestehen ?
Gerade der Vorfall, durch welchen die hier erörterte Frage
ein allgemeines politisches Interesse erhalten hat, der Erlass des
Fideikommiss-Stempels zu Gunsten des Ministers Freih. v. Lucius
beweist, dass solche (snadenakte zur Kenntniss des Landtags
kommen und zum Gegenstand parlamentarischer Erörterungen
gemacht werden können, auch wenn sie nicht von der Ober-
rechnungskammer dem Landtage angezeigt werden.
Darin liegt zugleich ein wirksamer Schutz gegen die Mög-
lichkeit eines umfangreichen und dauernden Missbrauchs des
Gnadenrechts. Mag auch vielleicht einmal ein einzelner Fall
unbemerkt hingehen, in welchem Gnade gewährt worden ist, ohne
dass diejenigen Voraussetzungen thatsächlich vorhanden waren,
an welche nach dem rechtlichen und sittlichen Bewusstsein des
Volkes die königliche Gnade gebunden sein sollte: ein erheblicher
Zwiespalt zwischen den Grundsätzen, von denen die Krone sich
leiten lässt, und dem öffentlichen Rechtsbewusstsein ist auf die
Dauer nicht möglich.
Die Oeffentlichkeit der parlamentarischen Verhandlungen,
in welcher der Schwerpunkt der politischen Ministerverantwort-
lichkeit liegt, bietet dafür die sicherste Garantie. Der Landtag
kann durch keinen Gesetzesparagraphen mundtodt gemacht werden.
Mag das Gnadenrecht des Königs noch so formell und ausdrücklich
anerkannt und die absolute Rechtswirksamkeit der Gnadenakte