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der allgemeinen Rechtslehre zu liefern, vielmehr in kühnem Be-
ginnen sofort deren ganzen Kreis zu durchmessen trachtet. Es
liegt dann die Gefahr allzu nahe, dass die beabsichtigte Durch-
führung einer Grundidee ihn verhindert, die einzelnen in Betracht
kommenden Fragen gründlich und befriedigend zu erörtern. Gerade
bei der Durchführung im Detail aber kann sich erst die Richtig-
keit eines Grundgedankens bewähren.
Zu diesen Betrachtungen geben mir zwei vor Kurzem er-
schienene Schriften Anlass, die keineswegs ohne Interesse sind.
Ihren Werth freilich vermag ich weniger in ihren positiven Er-
gebnissen zu finden, als darin, dass sie Gelegenheit geben, die
Unrichtigkeit verschiedener auf dem Gebiete der allgemeinen Rechts-
lehre vielfach herrschenden Anschauungen zu erkennen.
Desshalb sei es mir vergönnt, denselben hier eine eingehen-
dere Besprechung zu widmen, die um so mehr am Platze sein
dürfte, als die beiden Abhandlungen Anspruch darauf zu machen
scheinen, über das Wesen des Rechts neue und erschöpfende Auf-
klärungen zu geben.
Die eine Schrift, betitelt „Recht und Macht“, ist verfasst
von Dr. ALoıs HEILINGER, Öonceptsadjunkt im Rechtsdepartement
des Wiener Magistrates (Wien, Manz’sche Verlagshdl. 1890;
76 S.); die andere nennt sich: „Untersuchungen über das Wesen
des Rechts“ und rührt von Dr. A. ArFFoLTER, Regierungsrath in
Solothurn, her (Solothurn, Buchhdlg. Jent und Cie. 1889; VI und
778.). Die Verschiedenheit beider Abhandlungen tritt schon in
der Inhaltsübersicht hervor.
Ich wende mich zunächst der Besprechung des erstgenannten
Werkes zu.
HEILINGER, welcher im Vorworte bemerkt, seine Schrift bilde
die Vorläuferin einer grösseren wissenschaftlich-praktischen Arbeit,
ändert den Titel seiner Abhandlung S. 9, gleichsam erläuternd,
in: „Theorie des Rechtes als gesellschaftliche Macht“. Die
Schrift zerfällt in zwei Abschnitte, welche die Ueberschriften