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Mit der Rechtsnatur des Völkerrechts findet sich H. etwas
leicht ab. Es hängt dies aber mit der ihn beherrschenden Idee
von den „leitenden Kreisen“ als Schöpfern des Rechts zusammen.
Dass der Krieg „ein Prozess des öffentlichen Rechts, bezw.
Exekution eines Völkerrechts“ sei, sollte doch von Juristen nicht
mehr behauptet werden. Der Krieg ist vielmehr ein Gegensatz
zum Völkerrecht, das ihn ja überflüssig machen sollte. Freilich
wird die Art der Kriegführung der civilisirten Staaten selbst
wieder durch einige völkerrechtliche Normen beschränkt; dies
macht den Krieg aber nicht zu einem Prozess oder einem recht-
lichen Exekutionsmittel.e Denn im Krieg siegt der Mächtigere
und Geschicktere, mag das Recht auf seiner Seite sein oder nicht.
Ich glaube, man kann das Völkerrecht entweder überhaupt nicht
als ein Recht gelten lassen oder nur von dem Standpunkt aus
und in dem Sinn, den ich a. a. O. 8. 153/154 dargelegt habe.
Den Gegensatz zwischen Recht und Moral betont HEILINGER
(S. 38) ganz richtig, wird aber dann von seinem „Prinzip der
leitenden Kreise* zu dem Satze geführt: der Mangel gesell-
schaftlicher Anerkennung mache Recht zu Nichtrecht (S. 35).
Die von HEILINGER angeführten Beispiele beweisen dies sicherlich
nicht. Denn die Sklaverei ist nicht von der Gesellschaft, sondern
von der Staatsgewalt aus dem Rechte beseitigt worden. Be-
kanntlich sind gerade gewisse „leitende Kreise“ der Gesellschaft
von der Aufhebung der Leibeigenschaft heute noch nicht recht
erbaut. Dass es Hexerei und Zauberei nicht gibt, haben gebildete
Kreise der Gesellschaft gewiss vielfach schon früher erkannt, als
das objektive Recht diese angeblichen Verbrechen eliminirte, und
andererseits glauben gar Manche leider heute noch an Hexen.
Massgebend dafür, dass ein Rechtsinstitut als solches zu existiren
aufhört, ist immer nur der Wille des wirklichen Gesetzgebers,
des Inhabers der Staatsgewalt: dieser mag ja freilich von ge-
wissen Elementen der Gesellschaft zu solchen Rechtsänderungen
gedrängt werden, aber er allein bewirkt sie.