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strebt“ (S. 11). „Die Moral ist unausgebildetes Recht. Nicht
alle moralischen Anschauungen werden aber vom Rechte auf-
genommen! ..... (S. 12).
Das Angeführte wird genügen, um die Grundanschauung
ÄFFOLTER’s erkennen zu lassen. Ich finde dieselbe unhaltbar.
Denn Moral und Recht sind Gegensätze, und das Rechtsgefühl
hat mit dem positiven Rechte gar nichts zu thun. Nicht die An-
schauungen irgend welcher Einzelnen oder Gesammtheiten, wie
wir oben sahen, auch nicht die Anschauungen der leitenden Kreise
über das richtige Verhalten der Menschen zu einander sind „Recht“,
sondern nur die nach dem Willen der Staatsgewalt massgebenden
Normen; nicht das Rechtsgefühl sagt uns, was Recht ist, sondern
das Gesetzblatt. Das ist eben der tiefgreifende Gegensatz zwischen
Moral und Recht, mögen sie auch noch so viele Sätze zeitweise
gemeinsam haben, dass nicht das Gefühl und die Anschauungen
derer, welche sich nach den Sätzen des geltenden Rechts richten
sollen, in Betracht kommt, dass es nicht im individuellen Belieben
und im subjektiven Ermessen derjenigen, welche gehorchen sollen,
steht, ob sie gehorchen wollen. Das Recht ist etwas unbedingt
und objektiv Massgebendes, es ist auch nicht bloss eine
Summe von Anschauungen, sondern von Geboten, d. h. es be-
steht nicht aus theoretischen Sätzen, sondern es soll befolgt,
praktisch angewendet werden.
ÄAFFOLTER freilich sagt S. 9: „Dadurch, dass das Recht an-
gewendet wird, werde es Mittel zu einem vom Rechtssetzenden
zunächst nicht beabsichtigten Zwecke“... ....... Aber um
alles in der Welt, wozu bräuchte man dann das Recht überhaupt
nach derjenigen Richtung, nach welcher bei AFFOLTER Recht und
Moral zusammenfällt? Glaubt ArFOLTER wirklich, dass die An-
wendung des Rechts und die dadurch erstrebte „Ermöglichung
eines gedeihlichen menschlichen Nebeneinanderlebens“ nicht zu-
nächst und allein vom Rechtsetzenden beabsichtigt ist? Sollte
es wirklich der erste Zweck des (sesetzgebers sein, Anschauungen