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um ihrer selbst willen zum Ausdruck zu bringen? Sollte die
Geltung des Rechts, seine Anwendung nicht der alleinige nächste
Zweck der Rechtschaffung sein? Jeder, der nur einmal ein Ge-
setzbuch in der Hand hatte, muss dies bejahen.
Nach AFFOLTER ist der Zweck der Geltung des Rechts
„Zweck der Natur“: „um ihn zu erreichen, hat sie den Keim
zur Bildung von Anschauungen über das menschliche Verhalten
und den Trieb zur Lösung der mit diesen Anschauungen ent-
stehenden Konflikte in die menschliche Seele niedergelegt.“
Ich glaube, die Natur hat vor Allem nicht nur diesen Keim,
sondern auch die Vernunft dem Menschen verliehen, und diese
bürgt dafür, dass die Schaffung des Rechts dessen Geltung zum
Zwecke hat: denn es gibt nun einmal kein menschliches Handeln
ohne Zweck, und alles Recht ist Menschenwerk (siehe meine
Schrift „Gewalt und Recht“ S. 148 und n. 558, vgl. auch n. 560).
Man verzichte doch entweder ganz auf wissenschaftliche De-
duktionen und Entwickelungen, oder aber man unterlasse es ın
solchen, Naturtriebe und dunkle Gefühle, angeborene Anschauungen
in’s Feld zu führen! Was sich erklären lässt, wenn man von der
Denkkraft des Menschen und seiner Fähigkeit zielbewussten
Handelns ausgeht, braucht doch wahrlich nicht durch mystische
„Lriebe* und „Gefühle“, deren Existenz sich nicht erweisen, son-
dern höchstens ahnen lässt, erklärt zu werden.
Dass der erwachsene Kulturmensch von gewissen morali-
schen Anschauungen beherrscht wird, soll meinerseits gewiss
nicht geleugnet werden. Aber mit dem Wesen des Rechts
haben diese Anschauungen nichts zu thun, wenn auch im posi-
tiven Recht sehr häufig (aber durchaus nicht immer) die diesen
Anschauungen entsprechenden Normen sich finden. Das Cha-
rakteristische des Rechts ist m. E. gerade der Umstand, dass
seine Normen verbindlich sind, gleichviel ob sie den moralischen
Anschauungen der einzelnen an das Recht Gebundenen entsprechen
oder nicht. Wenn man von Rechtsgefühl und Rechtsbewusstsein