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unter welche hinunterzugehen dem Schiffsführer nicht angesonnen
werden darf'5). Bei der durch die heutige Schifisbaukunst er-
möglichten grossen Fahrgeschwindigkeit der Dampfer ist aber
selbst dieses Mindestmass oft noch so erheblich, dass bei starkem
Nebel die Gefahr für begegnende Fahrzeuge eine recht bedenkliche
ist. Es ist desshalb die Ansicht aufgestellt worden, dass in solchen
Fällen die Fahrt überhaupt einzustellen sei, bis das Wetter sich
genügend aufgeklärt habe !P), Man stützt sich hierbei auf den
Art.24 der Verordnung, welcher bestimmt, dass keine Vorschrift
dieses Gesetzes ein Schiff von den Folgen des Versäumens irgend
einer Vorsichtsmassregel befreien solle, welche durch die ge-
wöhnliche seemännische Praxis oder durch die besonderen Um-
stände des Falles geboten werde. Hiergegen hat aber das Reichs-
gericht!?) eingewandt, dass ein derartiges Verfahren der in weiten
seemännischen Kreisen herrschenden Anschauung nicht entspreche,
also die Voraussetzung des Art. 24, nämlich das Bestehen einer ge-
wöhnlichen seemännischen Praxis, nicht vorliege. Diese Thatsache
muss alsrichtig anerkannt werden. Es käme aber weiter noch zur
Frage, ob nicht die zweite in Art. 24 erwähnte Bedingung, das Vor-
liegen besonderer Umstände, als gegeben anzunehmen wäre. Und es
liesse sich ganz wohl die Behauptung vertheidigen, dass eine ausser-
gewöhnliche Fahrgeschwindigkeit des Schiffes und eine sehr starke
Einengung des Gesichtskreises durch dickes Wetter als besondere
Umstände im Sinne des Gesetzes zu behandeln seien. Aber nach
dem ganzen Zusammenhange jener Bestimmung wird man sie
nicht ausdehnen dürfen auf häufiger vorkommende Fälle, bei
welchen nicht mehr von der Berücksichtigung individueller Ver-
hältnisse die Rede sein kann, sondern ein allgemeiner, wenn auch
nur in einem beschränkten Kreise anwendbarer Grundsatz zu
16) Entscheid. d. Reichsgerichts in Civilsachen 3, S. 138ff., vgl. auch
Entscheid. d. Ober-Seeamts I, N. 180, V, N. 50, VI,N.2.
16) Entscheid. d. Ober-Seeamts IV, N. 77, vgl. auch IX, N. 17.
17) Entscheid. in Civilsachen 23, S. 71.
Archiv für öffentliches Recht. VII. 2. 19