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indessen leider schon mit dem westtälischen Frieden ab. Hieran reiht sich
unmittelbar eine litterarhistorische Uebersicht der Systeme und Theorien des
Völkerrechts seit Grotius, bearbeitet von dem gründlichen Kenner der älteren
und neueren völkerrechtlichen Litteratur A. Rıvier in Brüssel. Allem Anscheine
nach ist die Arbeit Rıvıer's als Ergänzung der historischen Ausführungen
v. HoLTZENDORFF’s gedacht; indessen die Lücke, die letzterer offen gelassen,
kann durch die anerkannt gründliche Arbeit Rıvier’s nicht ausgefüllt werden,
da jede der beiden Arbeiten den Gegenstand von einer anderen Seite zu be-
handeln hat. Es wäre gewiss von grösstem Interesse, den geschichtlichen That-
sachen, welche der allmählichen Verwirklichung der Völkerrechtsidee gerade in
den letzten Jahrhunderten zu Grunde liegen, an der Hand so meisterhafter Dar-
stellung, wie sie den voraufgehenden Epochen gewidmet ist, und in knapper Zu-
sammenstellung folgen zu können. Die betreffenden geschichtlichen Vorgänge
entgehen dem Leser allerdings nicht; er begegnet ihnen innerhalb der Dar-
stellungen der einzelnen Materien, in welche vielfach geschichtliche Ausführungen
verflochten sind, bez. als Einleitung voraufgeschickt werden. — Auch im II. Bande
übernimmt der Herausgeber die Führung in den dogmatischen Ausführungen
über den Staat als völkerrechtliche Persönlichkeit, die Grundrechte und
Grundpflichten der Staaten, die Staatsverfassungen und Staatsverwaltungen
in internationaler Hinsicht. Hieran schliesst sich eine Abhandlung von
GEFFCKEN über die internationale Stellung des Papstes. Eine weitere Ab-
handlung von v. HoLTZENDORFF beschäftigt sich mit der Beziehung der
Souveränetät zum Territorium. Eine bis in die letzten Details eingehende
Monographie von CARATHEODORY behandelt das Stromgebietsrecht und die
internationale Flussschifffahrt, zwei Abhandlungen von STOERK das See-
gebietsrecht. Hieran schliesst sich eine Arbeit von GARrEIS über die
Interdiktion von Sklavenhandel und Seeraub. Unter dem Titel „Staatsunter-
thanen und Fremde“ behandelt die letzte Abhandlung des II. Bandes den
völkerrechtlichen Verkehr der.Personen, insbesondere die praktisch wich-
tigen Fragen der Einbürgerung und Ausbürgerung, der Einwanderung und
Auswanderung, die Beziehungen der Staatsangehörigen im Auslande zu ihrer
heimischen Staatsgewalt, die Stellung der Fremden und gewisse anormale
persönliche Rechtsverhältnisse, insbesondere die Exterritorialität. Kommt
den Ausführungen des I. Bandes wesentlich die Bedeutung einleitender und
grundlegender Lehren zu, so erscheint der Inhalt des II. Bandes (abgesehen
von der dem III. Bande vorbehaltenen Lehre von den Staatsverträgen) als
der Komplex der allgemeinen Lehren innerhalb des ganzen Systems. Gerade
hier ist heute noch Vieles im Flusse begriffen; die positivrechtlichen Grund-
lagen betreffender Materien sind lückenhaft, in Folge dessen die Grundlage
doktrineller Konstruktion vielfach schwankend, weil von der bewussten und
unbewussten Einwirkung der in anderen Rechtsgebieten ausgebildeten Kate-
gorien abhängig. So z. B. in der Lehre von der Begründung der Souveränetät,
ferner bezüglich der dogmatischen Auffassung des Landerwerbs, namentlich