— 307 —
Im Eingang sucht er den Nachweis zu führen, dass, wie für das innen-
staatliche Recht, so auch für das Völkerrecht der Zwang der wirthschaftlichen
Bedürfnisse das fortbildende und ausgestaltende Element sei. Zwar fehle
dem Völkerrecht noch die zusammenfassende Organisation, aber die inter-
nationalen Kommissionen seien als Ansätze dazu anzusehen. Die Ausbildung
dieses Rechtsgebietes erfolge nur zum geringsten Theile durch derartige
Vereinigungen, vielmehr vorwiegend durch inneren Zwang, durch die Kraft
der wirthschaftlichen Nothwendigkeit. Die Versuche seien überflüssig, welche
die dem Völkerrecht thatsächlich fehlende, äussere Zwangsgewalt durch die
mannigfachen Mittel der internationalen Selbsthülfe ersetzen wollen; sie
hätten überdies insofern einem falschen Ausgangspunkt, weil internationale
Selbsthülfe als Ergebniss des Interessengegensatzes und internationales Recht
als Ergebniss der Interessengemeinschaft Aeusserungen diametral entgegen-
gesetzter Prinzipien seien. Die Entwicklung des Völkerrechts vollziehe
sich nun in der Weise, dass die Gemeinschaft der Interessen sich all-
mählich erweitere und nach und nach die vorhandenen Gegensätze in den
Interessen beseitige. Zur näheren Beleuchtung dieses Gedankens berührt
Prevuss einige wichtige und charakteristische Ereignisse aus der Geschichte
des Wirthschaftslebens. Dann wendet er sich gegen das Dogma, nach welchen
Vertrag und Herkommen die Quellen des heutigen Völkerrechts seien. Nach
den Ausführungen des Verfassers ist der Vertrag nur die einzige, äussere
Form völkerrechtlicher Satzungen; der eigentliche Ursprung liege in der
Interessengemeinschaft der vertragschliessenden Parteien. Gleichen Ursprung
habe das Herkommen, wie an einzelnen Erscheinungen des Handels und
Verkehrs sich nachweisen lasse. Je mehr sich nun die Völker in ihren
wirthschaftlichen Interessen nähern, desto ähnlicher werde sich ihr Recht
gestalten; ja diese Annäherung könne auf gewissen Gebieten eine völlige,
materielle Identität der Rechtsnorm herbeiführen.
In diesem Gedankengang etwa bewegt sich die Schrift von Preuss.
Sie enthält eine Fülle trefflicher Bemerkungen. Sind dieselben auch nicht
insgesammt neu erdacht, so sind sie doch klar und flüssig niedergeschrieben
und werden ihre anregende Wirkung gewiss nicht verfehlen.
Leipzig. Dr. G. Maas.
Werner v. Melle, Dr., Das Hamburgische Staatsrecht. Hamburg und
Leipzig (Verlag von Leopold Voss). 1891. 8°. XI u. 295 S.
Die mit der Begründung des deutschen Reiches erfolgte Konsolidirung
der staatlichen Verhältnisse hat die deutsche staatsrechtliche Litteratur nach
allen Richtungen mächtig gefördert. Neben dem vollständig neu erstandenen
Reichsstaatsrechte hat das Landesstaatsrecht einer Reihe von Einzelstaaten
neue Bearbeitungen erfahren. Dieselben beschränkten sich jedoch bisher aus
leicht begreiflichen Gründen auf die grösseren Staaten. Die kleineren Staaten,
namentlich die in ihrer Verfassung von den monarchischen Staaten wesentlich