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Zur richtigen Würdigung der neuesten Phase der öster-
reichischen Rechtsentwickelung bedarf es einiger erläuternder
Worte zu den vorgedachten Vorschriften ad 2 und 3. Wir sehen,
dass die staatsgrundgesetzliche Bestimmung vom 21. December 1867
sich mit der Thatsache einer objectiv widerrechtlich verfügten oder
verlängerten Gefangenschaft als Voraussetzung der staatlichen
Haftung begnügt, während diese Haftung bei Anwendung des
Gesetzes vom 12. Juli 1872 von der weiteren Voraussetzung des
Vorhandenseins einer subjectiven Verschuldung abhangen würde.
Wegen dieses Unterschiedes in den Klagvoraussetzungen ergab
sich naturgemäss für die Redactoren des letzteren die Nöthigung,
sich über das Verhältniss der neuen Vorschrift zu derjenigen des
Staatsgrundgesetzes Rechenschaft abzulegen. Sollte es in allen
Fällen einer widerrechtlich erlittenen Gefangenschaft auch zu-
künftig bei der älteren gesetzlichen Bestimmung bewenden oder
deren Anwendbarkeit insoweit ausgeschlossen sein, als es sich
dabei um die Categorie der richterlichen Functionäre handelte?
Da das neue Gesetz ganz allgemein zur Regelung des Klagerechts
wegen der von richterlichen Beamten in Ausübung ihrer amtlichen
Wirksamkeit zugefügten Rechtsverletzungen bestimmt war und
zwar in Durchführung des Artikels 9 des Staatsgrundgesetzes
vom 21. December 1867 über die richterliche Gewalt (R.-G.-Bl.
No. 144), so lag es nahe, um einer scheinbaren Inconsequenz
aus dem Wege zu gehen, sich in dem letzteren Sinne zu äussern,
mit a. W. dem neuen Gesetz eine exclusive Bedeutung für sämmt-
liche durch richterliche Beamte herbeigeführte Rechtsverletzungen
beizulegen. Dieser Standpunkt ist denn auch von den Gesetz-
gebungsredactoren eingenommen!) und späterhin von der öster-
reichischen Praxis zu dem ihrigen gemacht worden. Sonach hat
die thatsächliche Entwickelung der Dinge in Oesterreich dazu ge-
führt, dass eine Ersatzpflicht des Staates unabhängig von dem
1) S. Motive des Ges. vom 12. Juli 1872, S. 35, 36.
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