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fassung von den Volksvertretungen der betheiligten Staaten ge-
nehmigt und demnächst gleich anderen Landesgesetzen publicirt
worden.
Damit scheint eine zwingende Schlussfolgerung gegeben. Die
Verfassung, ursprünglich ein Staatsvertrag der verbündeten Staaten,
hat für die Unterthanen derselben Verbindlichkeit erlangt, indem
sie in den landesverfassungsmässigen Formen als Landesgesetz
publicirt wurde. Ihr Charakter würde danach ein verschiedener
sein, je nach der Rechtspersönlichkeit, die sie verpflichtet. Sie
wäre Staatsvertrag nur für die verbündeten Staaten, dagegen für
die Preussen preussisches, für die Bayern bayrisches, für die
Waldecker waldeckisches Landesgesetz. Dasselbe gälte selbst-
verständlich von allen Reichsgesetzen, welche auf Grund der
Reichsverfassung erlassen werden. Da somit auch weiterhin die
Unterthanen jedes deutschen Staates nur den (Geboten ihrer
Staatsgewalt gehorchen würden, hätte diese keine Verminderung
ihrer Souveränetätsrechte erlitten, sondern sich nur in der Aus-
übung einzelner derselben vertragsmässig beschränkt; es wäre
nicht die Existenz einer souveränen Reichsstaatsgewalt, sondern
nur eine gemeinsame Ausübung der Hoheitsrechte der Einzel-
staaten durch Societätsorgane möglich; die in den landesverfas-
sungsmässigen Formen erklärte Lossagung eines Einzelstaates
vom Reiche wäre für die Theilnehmer an einer solchen Handlung
nicht Hochverrath im Sinne des 8 81 No. 3 des Reichsstraf-
gesetzbuches '%), sondern völkerrechtlicher Vertragsbruch, der nur
für den vertragsbrüchigen Staat die völkerrechtlichen Folgen
davon nach sich ziehen würde. In ihren letzten Consequenzen
muss dann diese Theorie der Staatensouveränetät zur Anerken-
nung desselben Rechts auf Nullification und Secession für den
Einzelstaat führen, welches einst für Nordamerika in JoHn
14) Für den wegen der Unverantwortlichkeit des Herrschers und der
Immunität der Landtagsmitglieder allerdings nur die mitwirkenden Minister
verantwortlich gemacht werden könnten.