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widersprechenden Eingang anzunehmen. Einmal war es die Ab-
sicht der gesetzgebenden Factoren, nicht eine ganz neue Reichs-
verfassung zu erlassen, sondern nur die in den Versailler Ver-
trägen enthaltene, in einer einheitlichen Urkunde zusammen-
zufassen. Dieser Absicht entsprach es, auch die Eingänge der
verschiedenen Verträge zusammenzuziehen, obwohl die Verbindung
des ehemaligen norddeutschen Bundes und der süddeutschen
Staaten unter einer einheitlichen Bundesverfassung nicht eine zu-
künftige, sondern eine bereits vorhandene war. Weiterhin herrschte
aber weder innerhalb des Bundesrathes, noch innerhalb des Reichs-
tages Uebereinstimmung über die staatsrechtliche Natur des
Reiches und seiner Verfassung. Indem man die Eingangsformel
aus den Versailler Verträgen übernahm, präjudieirte man weder
der einen noch der anderen Ansicht. Dass diese Eingangsformel
juristisch bedeutungslos ist, bedarf nach den früheren Ausführungen
über die Verfassung des norddeutschen Bundes und die in den
Versailler Verträgen enthaltene Reichsverfassung keines weiteren
Beweises.
Die bisherigen Erörterungen zusammenfassend, darf man be-
haupten, dass das Reich eine selbständige staatliche Persönlichkeit
ist, und desshalb die Reichsverfassung als staatlicher Wille des
Reiches Anspruch auf Geltung hat. Völkerrechtliche Verträge
wie Landesgesetze dienten nur dazu, der neuen Staatsbildung die
Wege zu ebnen und sie vom Standpunkte des bisherigen Rechtes
zu legitimiren. Diese Aufgabe war erfüllt mit dem Augenblicke,
in dem der Bundesstaat zur Existenz gelangte. Von diesem
Zeitpunkte an wurden daher Verträge und Landesgesetze juristisch
bedeutungslos und traten vor der übergeordneten Autorität des
Reichsrechtes ausser Kraft. Insbesondere wohnt dem Eingange
der Reichsverfassung, welcher die Thatsache des Vertragsabschlusses
zwischen dem ehemaligen norddeutschen Bunde und den süd-
deutschen Staaten bekundet, eine staatsrechtliche Bedeutung
nicht bei,