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welche sie zum Begriff der Strafe überhaupt einnehmen. So er-
scheint es unabweisbar, zunächst auf diesen näher einzugehen,
ehe der Versuch gemacht werden kann, die Lehre von der Ord-
nungsstrafe zu behandeln. Im Laufe der Darstellung wird sich
dann auch die Gelegenheit ergeben, die vorerst nur registrirten
Theorien über die Ordnungsstrafe auf ihre Berechtigung zu
prüfen.
Begriff, Wesen, Grund und Zweck der Strafe
überhaupt.
Der Begriff der Strafe im Rechtsinn hat sich herausgebildet
aus dem Begriff der Strafe überhaupt. Denn der Strafbegriff ist
durchaus nicht allein für die Rechtssprache zu vindiziren, er ge-
hört vielmehr der gesammten Volkssprache an. Diese gebraucht
den Ausdruck „Strafe“ stets dann, wenn sie damit ein Uebel
bezeichnen will, das einen Menschen als Vergeltung für ein un-
zulässiges Verhalten trifft. Welcher Art das unzulässige Verhal-
ten und welcher Art das Uebel ist, ist für den sprachlichen Be-
griff der Strafe durchaus gleichgültig; man spricht von Strafe für
eine Handlung, gleichviel, ob diese Handlung gegen die Gesetze
der Natur, der Sitte, der Moral, des Anstands oder des Rechts
verstiess, gleichviel ob das Uebel physischer oder psychischer Art,
ob es ohne oder mit Zuthun von Menschen entstanden ist. Die
Essenz des Strafbegriffes ist die Vergeltung. Wo immer die
Folge einer Handlung nicht als Vergeltung derselben sich dar-
stellt, wird das Wort Strafe nicht gebraucht. Dies Resultat ist
festzuhalten auch für den Begriff der Strafe im Rechtssinn. Als
Strafe im Rechtssinn, „Strafe“ xat e$oynv bezeichnen wir zu-
nächst dasjenige Uebel, welches einem Menschen als Vergeltung
für sein rechtlich unzulässiges Handeln von Menschen zugefügt
wird, und als Strafrecht das Recht, eine Handlung als rechtlich
unzulässig zu erklären und ihre Vergeltung zu veranlassen '*.
14) Die Strafe im Rechtssinn setzt also immer eine menschliche Thätig-