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aus dem Strafrecht des Strafenden. Dieser bestimmt in jedem
einzelnen an ihn herantretenden Fall a posteriori, ob eine Hand-
lung strafbar ist oder nicht, während, wo Strafgesetze existiren,
durch diese die Normen für Recht und Unrecht ein für allemal
festgelegt sind, die Strafbarkeit gewisser Thatbestände von vorn-
herein feststeht. Die Rechtsgeschichte zeigt, wie das Strafrecht
von der ersten Art der Strafenbestimmung zur letzteren fort-
schritt. Während die unterste Stufe der Rechtsentwickelung noch
kein Strafgesetz kennt, und die Strafe sich unmittelbar auf das
Strafrecht gründet, geht im Recht der Gegenwart bei der staat-
lichen Strafe das Strafgesetz der Strafe zeitlich wie begrifflich
voraus, es gilt der Satz: nulla poena sine lege poenali. Dagegen
hat- das Familienstrafrecht seinem Wesen entsprechend den ersteren
Standpunkt noch nicht verlassen; in der Familie bestimmt noch
immer das Haupt derselben die Strafpflichtigkeit einer Handlung
im einzelnen Fall und setzt Art und Mass der Strafe fest; auch
in vielen Disciplinarstrafrechten sind die Normen über die Straf-
barkeit einer Handlung von vornherein nur in den allgemeinsten
Umrissen gehalten, oder nicht erschöpfend, so dass in beiden
Fällen der ohne Strafgesetz sich bethätigenden Strafgewalt des
Strafberechtigten noch ein weiter Spielraum bleibt '!®).
Für unsere Zwecke kommen jedoch diese letzteren Fälle
kaum in Betracht; wir haben uns meist nur zu befassen mit der
Strafe als Rechtsfolge einer Handlung, welche durch das Da-
zwischentreten eines Strafgesetzes sich als Normübertretung cha-
rakterisirt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Strafe nicht die
einzige Rechtsfolge einer Normübertretung ist; die Normübertretung
kann auch als ihre Rechtsfolge den Erfüllungszwang oder den
Entschädigungszwang auslösen. Jeder Rechtssatz, welcher die Folge
einer Normwidrigkeit enthält, gehört entweder dem Gebiet des
15. Juni 1883
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) S. auch neuerdings Krankenversicherungsgesetz vom 10. April 1893
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