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als ein Uebergangszustand dar, welcher die langsam und schrittweise, aber
dafür um so sicherer fortschreitende Einverleibung des geschützten Staates
diesem selbst und dritten Staaten verbergen soll. So haben sich die Pro-
tectorate über Krakau und Tahiti entwickelt und so wird, aller menschlichen
Voraussicht nach, das Schicksal von Tunis und Madagaskar, von Annam
und Tonkin sein. Nur die beiden Miniaturrepubliken von San Marino und
Andorra haben sich in dem Protectionsverhältniss seit Jahrhunderten er-
halten, hauptsächlich wohl nur, weil sich ihre Protectoren von ihrer Einverlei-
bung keinerlei Vortheile versprachen. Das Fürstenthum Monaco dagegen wird
vom Verfasser (S. 6, 28), wie von einer Reihe anderer Völkerrechtsschrift-
steller, mit Unrecht zu den protegirten Staaten gezählt. Wenn die internationale
Rechtsstellung dieses Staates früher etwas unklar war, so ist jetzt jeder Zweifel
an seiner Souveränität behoben, seit der französische Minister des Auswärtigen,
der doch darüber am besten Bescheid wissen muss, in der Sitzung der Deputirten-
kammer vom 2. März 1891 ausdrücklich erklärt hat, Monaco sei ein unabhängi-
ges Fürstenthum, über welches Frankreich keinerlei Protectorat ausübe (Nat.-
Ztg. 1891 No. 142; vgl. übrigens auch Pradier-Fodere, Traite de droit int.
public I.8$ 90 No.13). Mit San Marino und Andorra beschäftigt sich aber der
Verfasser so gut wie gar nicht, und das Wenige, was S. 43 über Andorra gesagt
wird, ist ungenau, wie sich schon aus einem Vergleich mit der daselbst als
Quelle angeführten Stelle bei Pradier-Fodere ergiebt.
Hat das Protectorat im Uebrigen, wie auch der Verfasser zugiebt,
überall mehr oder minder den Charakter einer Uebergangsform, so musste
sich schon aus diesem Grunde eine vorzugsweise historische Behandlung des
Stoffes empfehlen. Der Verfasser hat aber leider gerade die historische Seite
seines Themas sehr vernachlässigt und das ganze Gewicht auf eine streng
dogmatische Darstellung gelegt. Dadurch aber hat er es dem Leser sehr er-
schwert, einen klaren Einblick sowohl in die einzelnen Protectoratsverhältnisse
wie in die Entwickelung des Instituts im Ganzen zu erhalten. Das der Dar-
stellung zu Grunde gelegte System ist übrigens ein durchaus klares und
sachgemässes.
In einer Einleitung spricht der Verfasser zunächst von Schutzverhält-
nissen im Allgemeinen, von den Rechtsbeziehungeu zwischen europäischen
Staaten und aussereuropäischen Mächten, und giebt sodann eine Uebersicht
der wichtigsten Protectoratsverträge. Im ersten Kapitel versucht er den Begriff
des Protectorats festzustellen, welches er nicht unpassend als „völkerrecht-
liche Vormundschaft“ bezeichnet, eine Analogie, mit der dann in allen fol-
genden Ausführungen in einer oft sehr weitgehenden Weise operirt wird.
Treflich sind in diesem Capitel die Erörterungen über Begriff und Wesen
der sog. Halbsouveränität, die zu erfassen der völkerrechtlichen Lehre bisher
so wenig gelungen ist (S. 49 fi.). „Halbsouveräne Staaten sind,“ wie Ver-
fasser sehr zutreffend sagt, „Staaten von beschränkter Rechts- oder Hand-
lungsfähigkeit*, In die Categorie der halbsouveränen Staaten gehören auch