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Preussen machte, haben allerdings andere Bundesstaaten veranlasst, der
Zwangserziehung ein weiteres Gebiet der Anwendung zu geben, so z.B. bei
Gefährdung des sittlichen Wohles durch Missbrauch des Erziehungsrechtes
oder bei grober Vernachlässigung der elterlichen Fürsorge (Baden), fahrlässiger
Zuwiderhandlung der Eltern gegen ihre Pflege- und Erziehungspflichten
(Hessen). Auch der Entwurf des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches hat
sich dieser neueren Richtung theilweise angeschlossen und in $ 1546 dem
staatlichen Eingreifen in die elterlichen Erziehungsrechte einen weiteren Spiel-
raum gegeben. Der Verfasser kommt auf Grund der gemachten Erfahrungen
der Praxis zu dem Resultate, das staatliche Eingreifen in die elterlichen
Erziehungsrechte müsse überall da eintreten, wo sittliche Verwahrlosung
vorliegt, unabhängig davon, ob sie bereits zu einer strafbaren Handlung des
Kindes geführt und ohne Rücksicht auf eine Schuld der Eltern an der Ver-
wahrlosung; hierbei wird die Zulassung der Zwangserziehung bis zur Alters-
grenze von 18 Jahren für ausreichend erachtet.
Zu 2. folg. empfiehlt die Schrift Aenderung der bisherigen Altersgrenze
durch Abschluss der Strafunmündigkeit erst mit dem vollendeten 14. Lebens-
jahre, da ein Kind, welches noch die Schule besucht, nicht in das Gefängniss
gehöre. Durch das empfohlene Hinaufrücken des Beginns der Strafmündig-
keit verliert die weitere Frage, ob bei jugendlichen Delinquenten die bis-
herige Unterscheidung (Einsicht der Strafbarkeit oder nicht) beizubehalten
sei, sehr erheblich an Tragweite. Es kann zugegeben werden, dass der
Jugendliche sich von dem Erwachsenen nicht sowohl im Grade der Erkennt-
niss der Gesetzwidrigkeit einer Handlung, als vielmehr in der leichteren Zu-
gänglichkeit für äussere Eindrücke und der geringeren Widerstandsfähigkeit
gegen dieselbe unterscheidet, wesshalb die Frage der Bestrafung Jugendlicher
nicht sowohl von der zur Erkenntniss der Strafbarkeit erforderlichen Ein-
sicht, als vielmehr von der Entwicklung des Gemüthes und der sittlichen
Reife abhängen muss. Setzt man die Strafunmündigkeit bis zum 14. Lebens-
jahre hinauf, so werden die Gerichte nur noch ausnahmsweise irgend erheb-
liche Bedenken an der zur Bestrafung nothwendigen Reife haben können.
Vielleicht wird dann $ 56 R.-St.-G. überhaupt entbehrlich, vorausgesetzt, dass
dem Richter die Möglichkeit gegeben ist, gegen einen Jugendlichen dasjenige
Strafmittel zu verhängen, welches der Individualität am besten entspricht.
Ueber die Nothwendigkeit der Abänderung des 8 57 R.-St.-G. besteht völlige
Uebereinstimmung. Man hält es allgemein für unrichtig, dass das Straf-
gesetzbuch die Zwangserziehung nur gegen solche Jugendliche zulässt, welche
wegen mangelnder Einsicht von Strafe freigesprochen werden, während sie
bei den wegen eines Delictes Verurtheilten nicht stattfindet. Weiter wird
die Frage besprochen, ob die Zwangserziehung bloss als Zusatzmassregel zu
den in 857 R.-St.-G. bestimmten Strafen oder als ein selbständiges Strafmittel
eingeführt werden soll. Der Vorschlag geht schliesslich dahin, die Zwangs-
erziehung, die Unterbringung in eine Besserungsanstalt als Strafmittel