Full text: Archiv für öffentliches Recht.Siebenter Band. (7)

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ja nıcht zu läugnen; aber ist dieser Zusammenhang so eng und 
vollständig, um eine Ersetzung der Klassenwahl nach Bildung 
durch dıe Klassenwahl nach Besitz zu rechtfertigen? Der Besitz 
giebt allerdings einige Gewähr für ein gewisses Mass von Ver- 
standesbildung, aber keinerlei Gewähr für politische Bildung und 
für Gemeinsinn; oder sollen wir es als Zeichen von politischer 
Bildung ansehen, wenn man auf weite Kreise besitzender 
deutscher Wähler durch nichts kräftiger einwirken kann, als 
durch die Wahlparole: „Haltet die Taschen zu!“? Eine Gleich- 
werthigkeit von Besitz und Bildung behauptet denn auch Binr 
selbst nicht, allein er glaubt, dass das Deficitt an Bildung auf 
Seiten des Besitzes ergänzt werde durch den Ueberschuss an kon- 
servativer Gesinnung der Besitzenden. Das ist aber eine schwache 
Stütze der Klassenwahl nach Besitz; denn die konservative Ge- 
sinnung, die lediglich auf dem eigenen Besitz beruht, ist durch- 
aus eigennützig und widersetzt sich jedem Versuch, im Weg der 
Gesetzgebung eine gerechtere Verteilung der Güter herbeizuführen, 
als sie zur Zeit besteht, d. ı. jedem Versuch einer Reform des 
bürgerlichen Rechts im socialen Sinn. — Die Socialdemokratie, 
die Binr durch das Klassenwahlsystem bekämpfen wıll, strebt 
allerdings nicht die Reform, sondern den Umsturz des bürger- 
lichen Rechts an, allein eine grosse Anzahl von Reichstagswählern, 
die seither den Führern der Socialdemokratie Heerfolge geleistet 
haben, wäre doch wohl für eine gesittete Rechts- und Staats- 
ordnung zu gewinnen, wenn das Reich mit einer Reform in der 
bezeichneten Richtung Ernst machen wollte. Der denkbar ver- 
kehrteste Weg aber, sie zu gewinnen, wäre die Erlassung eines 
Wahlgesetzes, das unter Aufhebung des bisherigen gleichen 
Wahlrechts die Wahlen in die Hände derer legen würde, die 
jede solche Reform zurückweisen '). Ein solches Gesetz würde 
!) Ueber die Gestaltung dieser Reform zu handeln ist hier nicht der 
Ort. Ich verweise in dieser Beziehung auf meine Ausführungen, was das 
Erbrecht angeht, in meiner Schrift: „Was erwartet Deutschland von dem
	        
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