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Das Allzukünstliche des Biur’schen Vorschlags liegt, glaube
ich, so sehr auf der Hand, dass es nicht nöthig ist, auf alle
Einzelheiten einzugehen‘), ich beschränke mich darum auf die Her-
vorhebung zweier wesentlicher Bedenken, eines thatsichlichen und
eines rechtlichen. — Die für jede Partei (und ihre Bewerber)
abgegebenen Stimmzettel sollen durch das ganze Reich durch-
gezählt und das Ergebniss der Abstimmung von einer Reichsbehörde
?) Nur ein Kuriosum der Wahlanfechtung möge an einem Beispiel ver-
anschaulicht werden. — Auch in Bänr’s Vorschlägen sind grössere, über den
Ortswahlbezirken des $ 6 des Reichswahlgesetzes stehende Zählbezirke
vorgesehen. Diese Zählbezirke haben an sich keine rechtliche Bedeutung.
aber sie werden mit Nothwendigkeit thatsächlich zu Wahlbezirken, in
denen sich de facto zwei (oder mehr) Bewerber gegenüberstehen und wo der
“Wahlkampf so leidenschaftlich wie bisher wird geführt werden. Nehmen wir
nun an, dass in 10 Zählbezirken 10 Bewerber der Partei X (darunter A und
B) und der Partei Y (darunter C und D) auftreten; auf die Bewerber der
Partei X fallen 200 000 Stimmen, davon im 1. Zählkreis auf A 22000, im 10.
auf B 12000; auf die Bewerber der Partei Y 199800 Stimmen, davon im
1. Zählkreis auf C 21 900, im 10. auf D 11800. Bei der Prüfung durch die
Reichswahlbehörde ergiebt sich aber, dass in der zum 1. Zählbezirk gehörigen
Gemeinde Grossrinderfeld 200 Wäller den Namen A auf Stimmzettel für die
Partei Y geschrieben haben. Diese 200 Stimmen werden der Partei X und
dem Bewerber A abgezogen und der Partei Y zugezählt. Nun hat die Partei
X nur noch 199800 Stimmen, also nur noch 9 (volle) Sitze, die Partei Y
aber 200000 Stimmen, also 10 Sitze. A hat aber immer noch weit mehr
Stimmen als B, und die Folge hiervon ist, dass B durchgefallen ist, während
A und D in den Reichstag eintreten, trotzdem, dass nach Vernichtung der
für A ungültig abgegebenen Stimmen sein de facto-Gegner C im 1. Zähl-
bezirk über ihn gesiegt, und D im 10. Zählbezirk gegen B unterlegen ist;
eine unabweisbare Schlussfolgerung aus Bäur’s Vordersätzen, aber ein sonder-
bares, sicherlich selbst manchem verständigen Wähler kaum begreifliches
Ergebniss! — Der aufmerksame Leser wird übrigens aus denı Beispiel ent-
nehmen, dass die Vorschläge Bäur’s mit oder obne Zuthun der Behörde
ziemlich nothwendig zu einer Gestaltung der Wahlen führen, die sich meinem
unten zu machenden Vorschlag nähert: sollen nicht (was gewiss nicht
wünschenswerth wäre) die meisten Reichstagssitze durch Kooptation einiger
weniger gewählter Personen besetzt werden, so müssten entweder die
künftigen Zählbezirke ungefähr noch einmal so gross gemacht werden, als
die seitherigen Wahlbezirke, oder müssten sich die Wähler zweier Zähl-
bezirke seitheriger Grösse über die Person eınes Bewerbers verständigen.