Full text: Archiv für öffentliches Recht.Siebenter Band. (7)

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wohl nicht bloss dann, wenn die Beeinflussung den Thatbestand 
einer strafbaren Handlung darstellt (Str.-G.-B. $$ 107, 109); 
wenn aber auch in andern Fällen: wo sind dann die Grenzen 
zwischen erlaubter und unerlaubter Einwirkung auf die Wähler 
gelegen? Wenn ein Bezirksbeamter durch Rundschreiben auf die 
Ortsvorsteher seines Kreises —, wenn ein Geistlicher von der 
Kanzel aus auf seine Gemeindeangehörigen zu Gunsten eines be- 
stimmten Bewerbers eingewirkt oder einzuwirken versucht hat, so 
ıst darin nicht ohne weiteres eine unstatthafte Beeinflussung zu 
erblicken, sie ist statthaft (ob taktvoll, ist eine andere Frage!), 
wenn sie sich nur an die Ueberzeugung der Wähler wendet, un- 
statthaft, wenn sie sich an den Eigennutz (im weitesten Sinn) 
wendet, mit Versprechungen, Drohungen u. s. w. Die Grenze ist 
hier schwer zu ziehen, es handelt sich, wie im öffentlichen Recht 
so oft, um „Ermessens“‘-Fragen, und eben darum ist zur Urteils- 
fällung eine politische Körperschaft wie der Reichstag der un- 
berufenste Richter. Der Richter-Beamte, der an seinen Eid ge- 
bunden ist, wird, wenn anders er ein gewissenhafter Mann ist, 
in solchem Fall, auch wenn er selbst eine ausgesprochene poli- 
tische Ansicht hat, bei der Anfechtung der Wahl eines politischen 
Gegners mit besonderer Sorgfalt die Anfechtungsgründe prüfen; 
der Richter-Abgeordnete ist an keinen Eid gebunden, er sieht 
nur den Splitter im Auge der gegnerischen, nicht aber den Balken 
im Auge der eigenen Partei, und so geschieht es, dass bei der- 
artigen Wahlanfechtungen die Parteien fast immer geschlossen 
nach dem Parteiinteresse abstimmen. Der Parteihass steigert sich 
somit immer mehr und der Sinn für das Recht wird getrübt. Es 
ist denkbar, dass sich unmittelbar nach der Wahl zwei Parteien 
oder Parteigruppen in völlig gleicher Stärke gegenüberstehen, es 
sind 150 „Blaue“ und 150 „Grüne“ anwesend; die Wahlen von 
zehn Mitgliedern jeder Partei sind angefochten; zuerst wird über 
die Wahl eines Blauen abgestimmt; enthält dieser sich, wie es der 
Anstand erfordert, der Abstimmung, so stehen nur noch 149 Blaue
	        
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