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So wie überhaupt mit der Ausbildung eines Verwaltungsrechts
im konstitutionellen Staat an der Stelle der Verwaltungswillkür
im absolutistischen Staat mit Nothwendigkeit eine Verwaltungs-
rechtspflege als Rechtsprechung nicht durch die Verwaltung,
sondern für (pro et contra) die Verwaltung, für Verwaltungs-
streitsachen, durch besondere, den Civil- und Strafgerichten gleich-
geordnete Gerichte sich entwickelt hat, so erscheint auch die
Reichsrechtspflege unvollkommen, solange nicht für Streitfälle des
öffentlichen Rechts, die grundsätzlich zur Zuständigkeit des Reichs
gehören, ein Reichsgerichtshof, eine besondere Abteilung des Reichs-
gerichts gebildet ist. — Die Entscheidungen über Wahlanfechtungen
wären nicht die einzigen diesem Verwaltungssenat zu überweisenden
Streitfälle, ihm fiele — von Anderem abgesehen — mit Noth-
wendigkeit das Urteil in den Streitigkeiten zu, für welche in
Art. 76 der Reichsverfassung eine sehr unzulängliche Fürsorge
getroffen ist — unzulänglich, sofern die eine Art der Streitig-
keiten (zwischen verschiedenen Bundesstaaten) nicht durch den
Spruch eines Gerichts, sondern durch den Spruch einer politischen
Körperschaft, hier nicht des Reichstags, sondern des Bundesraths,
geschlichtet werden soll, während die Erledigung der anderen Art
(Verfassungsstreitigkeiten innerhalb der einzelnen Bundesstaaten)
gar „im Weg der Reichsgesetzgebung“ erfolgen muss.
Wird aber der Reichstag sich zur Uebertragung der frag-
lichen Entscheidungen an das Reichsgericht verstehen? Auch hier
gilt das oben angeführte Wort Binr’s: „Es ist immer bedenklich,
jemandem, der einmal ein Recht ausgeübt hat, dieses Recht wieder
gänzlich zu entziehen.“ Der einfachen Uebertragung der ge-
samımten Wahlprüfung auf das Reichsgericht wird der Reichstag
schlechterdings nicht zustimmen. Um eine solche einfache Ueber-
tragung kann es sich also nicht handeln, die Uebertragung kann
nur mit Modifikationen erfolgen, einerseits wird nicht die ge-
sammte Wahlprüfung dem Reichstag zu entziehen —, anderer-
seits wird dem Reichstag — nach dem Satz do ut des — für