Full text: Archiv für öffentliches Recht.Siebenter Band. (7)

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dıe Entscheidung über Wahlanfechtungen einen Haupttheil seiner 
Geschäfte zu bilden hätte, von ihm also überwiegend strafrecht- 
liche oder doch dem Strafrecht verwandte Fragen zu erledigen 
wären, überwiegend mit kriminalistischen Mitgliedern des Gerichts 
zu besetzen. In den Kriminalsenaten des Reichsgerichts ist aber 
zur Zeit das staatsanwaltschaftliche Element sehr stark vertreten, 
und dass die Staatsanwalts-Laufbahn eine Schule der Unabhängig- 
heit, Unbefangenheit und Unparteilichkeit sei, wird kaum jemand 
behaupten, — wenn es jemand behauptet, so wird es der Reichs- 
tag nicht glauben. Dieser wird also als Kompensation für das 
Opfer des eigenen Prüfungsrechts die Einräumung eines Einflusses 
auf die Besetzung des Gerichts verlangen, dem das Urtheil über 
die Anfechtungen übertragen werden soll, und dieses Verlangen 
wird man um so mehr als berechtigt anerkennen müssen, als die 
Art und Weise, wie seither die Reichsgerichtsstellen besetzt 
worden sind, zwar nothdürftig mit dem Buchstaben, aber schwer- 
lich mit dem Geiste des Gesetzes vereinbar ist. — „Der Präsident, 
die Senatspräsidenten und die Räthe werden auf Vorschlag des 
Bundesraths von dem’) Kaiser ernannt,‘ so verfügt für das Reichs- 
gericht $ 127 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Thatsächlich aber 
erfolgt die Ernennung nicht auf den Vorschlag des Bundesraths, 
sondern auf den Vorschlag der einzelnen Bundesstaaten: geht 
ein Mitglied des Gerichts ab, so ist in allen Zeitungen zu lesen, 
es sei eine preussische, bayrische etc. Stelle erledigt. Es ist ganz 
in der Ordnung 
oO! 
allen Theilen des Reichs, so weit wie möglich aus allen einzelnen 
wenn zu Richtern am Reichsgericht Juristen aus 
Staaten berufen werden, aber ein Präsentationsrecht, wie es auf 
Grund einer proportionalen Vertheilung der Reichsgerichtssitze 
geübt wird, kennt das Gesetz nicht, und ob diese Uebung dem 
Gerieht immer die tüchtigsten Mitglieder zuführt, möchte fraglich 
5) Von welchem Kaiser ? Gewiss nur vom deutschen Kaiser, also wäre 
richtig deutsch zu sagen gewesen: vom Kaiser ernannt; vgl. WUsTMann. 
Allerhand Sprachdummheiten, S. 260.
	        
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