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heutzutage unsern Gelehrten, gerade den Punkt zu erfassen, der einzig und
allein einem Denker seine Bedeutung geben kann — die Einheit des Ge-
dankens, das Ganze der Entwicklung, die Folgerichtigkeit der Grund-
anschauung.“ A. Affolter.
P. Kloeppel, Gesetz und Obrigkeit. Zur Klärung des Staats- und
Rechtsbegriffs. Leipzig. C. L. Hirschfeld. 1891. 129 S.
Im erklärten Gegensatze zu der der naturrechtlichen Lehre entsprechenden,
bis zum heutigen Tage nicht überwundenen Auffassung des Gesetzes als
des Staatswillens, den die Obrigkeit, richtende wie verwaltende, nur aus-
zuführen und zu vollziehen hat, hat sich der Verfasser die Aufgabe gestellt,
die bezüglichen Begriffe auf geschichtlicher Grundlage zu entwickeln und
unter Klarstellung der auch hier wiederkehrenden abweichenden Richtung
durchzuführen, um solche weiter in die wichtigsten Anwendungen zu
verfolgen.
Zu dem Ende wird die Gestaltung des Staatsbegriffes von den Zeiten
Bodins durch das Zeitalter des Naturrechts und die historische Schule hin-
durch bis zur Gegenwart behandelt, hiernächst aber, weiter ausgreifend, eine
übersichtliche Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Rechts- und
Gesetzesbegriffes vom Alterthum bis zur Neuzeit gegeben.
Auf Grund der eingehenden Erörterungen, die zugleich den inneren Zusam-
menhang der staatlichen massgebenden Verhältnisse mit den jeweiligen Auffass-
ungen im Einzelnen zur Anschauung bringen, ergiebt sich dem Verfasser, zum
Theil im Anschlusse an Lorenz von Stein, als Resultat, dass wie die gesunde
Staatsentwicklung von oben ausgeht, aber ihre Vollendung erst findet, wenn
die in dem Staatsoberhaupte erwachsene Obrigkeit mit dem Rechtsgefühle
der Unterthanen sich zu einer sie selbst bindenden Ordnung zusammen-
schliesst, die gesunde Rechtsentwicklung von unten erfolgt, ihre Vollendung
aber erst in dem rechtsetzenden Walten der Obrigkeit gewinnt. Statt aus
dem Staatsbegriffe zu verschwinden, wird mithin die Obrigkeit zum eigent-
lichen Angelpunkte des Staates, als der unter ihr geeinten Gesammtmacht
eines von eigenartigem Gemeingefühl durehdrungenen Volksthums. Nach den
abschliessenden Untersuchungen von Leıst hat sich andererseits das bürger-
liche Recht, übereinstimmend bei Griechen, Römern und Germanen, erst in
dem Gerichte der weltlichen Obrigkeit herausgebildet, und zwar nicht in
Gestalt von allgemeinen Rechtssätzen, sondern von Rechtssprüchen für den
einzelnen Fall, die als solche in der Ueberlieferung des Gerichtes dergestalt
fortgeführt wurden, dass erst durch den gerichtlichen Spruch, durch die Be-
scheinigung der opinio necessitatis der gesonderte Rechtsbestand aus Sitte
und Gewohnheit ausgeschieden ist. Vermittelt somit das Gericht das Ver-
halten der Unterthanen zu dem Gesetze, so erscheint Letzteres, hervorgerufen
durch das Verlangen des Volkes, das für den Richterspruch massgebende