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Recht kennen zu lernen resp. die Obrigkeit an dasselbe zu knüpfen, im Ver-
laufe der geschichtlichen Entwicklung statt genereller, für die Einzelnen
bestimmter Rechtsordnung wiederum als ein für die Obrigkeit in ihrer Rechts-
findung verbindlicher Ausdruck bestimmter Rechtssätze, deren Umfang,
ohne erschöpfend zu sein, durch Rücksichten der Notlwendigkeit bezw.
Zweckmässiskeit bedingt wird.
Mag nun, wie in der constitionellen Monarchie die höchste Obrigkeit
selbst, oder wie in der absoluten Monarchie, das dem Herrscher untergeord-
nete Amt an das Gesetz gebunden sein, und demgemäss, je nach der
grösseren oder geringeren Ausbildung des Rechtsstaates, übereinstimmend
mit der Entwicklung bei Römern bezw. Griechen, der formelle oder materielle
Gesetzesbegriff in den Vordergrund treten, gleichmässig enthält das Gesetz
den an die Obrigkeit, nicht an die Unterthanen gerichteten Ausspruch dessen,
was als Recht gesprochen werden soll, auf Grund der Erkenntniss, dass das
Gewollte Recht ist.
Ohne Unterschied, ob es sich um privat- bezw. strafrechtliche uder um
sonstige öffentlich-rechtliche Verhältnisse handelt, findet der vermeintliche
Gegensatz in der erst allmählich entwickelten Ausbildung einer specialisirten
Verwaltungsgesetzgebung und eines Verwaltungsstreitverfahrens seine voll-
ständige Erklärung; als charakteristisches Merkmal bleibt die Bindung der
Obrigkeit, mit der Folge, dass Gesetz und Verordnung ein concurıirendes
Verhältniss aufweisen, zumal auch in dem entwickelten Rechtsstaate gegen-
über der Gefahr hinter formellen Schranken in den reinen Ohnmachtsstaat
zu verfallen, für die Obrigkeit die Nothwendigkeit erwachsen kann, bei
Steigerung der Verantwortlichkeit als des am Gesetze ausgebildeten Binde-
gliedes selbst gegen das Gesetz zu handeln, und somit den Beweis zu liefern,
dass im Schlussresultate nur die starke Obrigkeit als Anfang und Ende des
geschichtlichen Staatsbegriffes auch ein starkes Recht zu verbürgen vermag.
Ausgesprochenermassen liegt den Ausführungen der Gedanke der ge-
schichtlichen Monarchie zu Grunde, wie solche im Deutschen Königthume in
die Erscheinung tritt. Die bezügliche Anwendung zeigt sich, unter Gegen-
überstellung der belgischen und preussischen Verfassung, in dem für die
Letztere beanspruchten Satze des geschichtlichen Rechtes, dass der König
nur den bestimmt abgesprochenen Theil der früher unbeschränkten Gewalt
verloren hat, resp. in der S. 95 ff. daraus abgeleiteten Vorderungsgewalt der
preussischen Krone. Wenn jedoch die bezügliche Auffassung, ohne Rücksicht
auf die bundesstaatliche Gestaltung, S. 113 ff. weiter auch auf das deutsche
Reich und auf die staatsrechtliche Stellung des Kaisers übertragen wird, so
mögen die betreffenden Ausführungen in politischer Hinsicht ihre Berechtigung
besitzen, eine rechtliche Bedeutung werden, insbesondere LaBAnnD und Bıxpine
gegenüber, die Bemerkungen über die Gründung und Verfassung des Reiches
kaum beanspruchen können, selbst nicht unter dem anzuerkennenden Gesichts-