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gebenen sachlichen Gegenausführungen dogmatischer und rechtsgeschichtlicher
Natur sind vom Verfasser völlig ignorirt; die kurze Polemik gegen ein un-
genaues Citat GEFFCKEns bei HEFFTER trifft nicht das Wesen der Sache.
Uebrigens ist die von DE CAarp gegebene Aufzählung der Anwendungsfälle
des Plebiscits in unseren Tagen durchaus nicht vollständig und wir ver-
wiesen ihn gerne auf die einschlägige Arbeit einer jungen deutschen Kraft
(s. FREUDENTHAL, Die Volksabstimmung, Erlangen, 1891), wenn wir dem Ge-
danken Raum geben dürften, dass der Verfasser in diesen Punkten überhaupt
Belehrung anzunehmen geneigt wäre.
Um so freudiger anerkennen wir die aus der Untersuchung „La natu-
ralisation en Algerie“ empfangene Erweiterung unseres Gesichtskreises ;
wir fanden hier lehrreiche Winke für die Gesetzgebungspolitik auf kolonialem
Gebiete, die ihren Erfahrungswerth auch im System anderer Kolonisations-
versuche bewahren dürften. In der gleichen Ideenrichtung bewegt sich der
Aufsatz über: „Les indigenes musulmans de l’Algerie dans les
Assembl6es locales,‘“ in dem uns der Verfasser die Resultate eigener
juristischer Beobachtungen darzubieten in der Lage ist.
Wie sich bei R. pe CaArp selbst scharfer Blick für das praktisch
Wichtige und Verwendbare mit idealem Schwunge verbindet, so finden wir
denn auch in seinem Buche unvermittelt neben den Ergebnissen juristischer
Empirie Eingebungen des juristischen Idealismus umständlich erörtert und so
handgerecht hingestellt, dass die Welt dem Anscheine nach nur zuzugreifen
brauchte, um sich im Gebiete des strengen Völkerlebens ewig lachenden
Sonnenschein und nie verwelkende Friedenspalmen zu sichern. Dieser Auf-
fassung nähern sich, zum mindestens siellenweise, recht deutlich die Aufsätze
über die Kodifikation des Kriegsrechts (Le droitinternational moderne
et la Codification des Lois de la Guerre continentale), und über
internationale Schiedsgerichte (L’Arbitrage international au XIXe
Siecle). Dem letztern Gedanken scheint der Verfasser gleich einer Jugend-
liebe in Treuen zugewandt; er hat ihm seine Erstlingsschrift 1876 voll Be-
geisterung gewidmet und es zeugt von der Tiefe seiner Neigung, dass er
auch in seinem letzten Werke von 1892, wie dies bei Herzensbündnissen aus
der frohen Jugendzeit vorzukommen pflegt, nicht bemerkt, um wie vieles die
Herzliebste seither gealtert ist, wie wenig sie objektiv den ersten hoclı-
gespannten Erwartungen zu entsprechen vermocht hat. Die Zeit der von
BLUNTscHLI zuweit getriebenen Ueberschätzung des sog. „Minneverfahrens‘
liegt weit hinter uns. Die ganze Bewegung hat meines Erachtens nur zur
Rehabilitirung der seit der Mitte unseres Jahrhunderts von allen Liberalen
und Schein-Liberalen systematisch betriebenen Unterschätzung der „zünftigen‘
Diplomatie geführt. Alle Konfliktsfälle, die uns R. DE CArD in seinem
interressanten oben an zweiter Stelle genannten Werke anführt, sind nur kraft
der ihnen von der zünftigen Diplomatie gegebenen Richtung, durch die von