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Billigkeit zu sprechen: ‚Wenn jemand in einer zweiten Ehe lebt,
während die erste Ehe vielleicht faktisch seit Jahren getrennt ist,
würde es ein zu tiefes Eingreifen in das jetzt bestehende Familien-
leben bedeuten, wenn ich diese zweite Ehe ın Kraft des Gesetzes
lösen und den Eheteil veranlassen wollte, zu seinem ersten Ehe-
gatten zurückzukehren, den er schon lange nicht mehr gesehen,
mit dem er schon lange nicht mehr gelebt hat. Ich würde ge-
rade das Familienband, das aufrecht zu erhalten ıst, lösen, mit
Gewalt den gordischen Knoten zerhauen und diejenige Lösung
der Differenz nicht herbeiführen, die einmal nach der Natur der
Sache die allein richtige ist‘ (8. 333) °).
Die Mehrzahl der Redner war für Entscheidung durch den
Richter. Aus verschiedenen Gründen. Teils, weil sıch durch
eine gesetzliche Vorschrift nicht alle Fälle entsprechend treffen
liessen ?°), teils wegen der Seltenheit der Fälle, so dass gesetz-
geberisches Eingreifen nicht erforderlich sei, teils, weil je nach
Lage der Umstände bald die eine, bald die andere Ehe die Auf-
rechterhaltung verdiene”), teils, weil der Vorbehalt erworbener
Rechte Dritter vollständig genüge, um alle Fälle, welche ın ir-
gend einer Beziehung auftauchen möchten, einer entsprechenden
Lösung durch den Richter zuzuführen °®).
Gegen den Antrag GunzenHäuser wurden noch besondere
rechtliche und politische Bedenken geltend gemacht, rechtliche
von dem Abgeordneten Joseph Wuacner, politische von einer
2°) Dazu der Abg. von FIscHER in der ihm eigenen klaren Weise:
„Wer das Gegenteil von dem will, was Kollege Beckxu aus dem Entwurf
herausliest, muss es ausdrücklich im Gesetze sagen und deshalb liegt der
Antrag GuUNZENHÄUSER vor. Der Antrag GunzEnHÄUsSER harmoniert mehr
mit der allgemeinen menschlichen Vermutung, dass die Ehegatten, welche
sich zuletzt geheiratet haben, lieber miteinander leben als diejenigen, welche
sich getrennt haben‘.
26, So Abg. Joseph Geieer $S. 335, Minister Freiherr v. FeıLıtzscn $8. 353.
27) Abg. Geieer S. 335, DALLER S. 348, Minister Frhr. v. FeıLıtzsch S. 354.
22) Abg. Daızer S. 345, Joseph Wacner S. 352.