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vor Beginn und nach Schluss desselben kein Mitglied des Par-
lamentes im Wege der Civilexecution gerichtlich eingezogen
werden soll. In Bezug auf Criminalhaft hatte dieses Privilegium
seit jeher grundsätzlich keine Geltung. Hier hielt man das
gemeine Recht für ausreichend und nur, wenn die Habeas- Corpus-
Acte zeitweilig ausser Kraft traten, wurde bestimmt, dass wäh-
rend der Tagung des Parlamentes kein Mitglied verhaftet werden
dürfe, bevor die Verdachtsgründe dem Hause mitgetheilt wären
und das Haus die Zustimmung ertheilt hätte.
Ebenso wurde in Frankreich den Deputirten zunächst der
Schutz gegen Civilexecution verliehen.
Wenn nun aber im weiteren Verlaufe staatsrechtlicher Ent-
wickelung der Nachdruck auf die Immunität gegenüber der straf-
rechtlichen Verfolgung gelegt wurde und diesfalls die entschei-
denden Bestimmungen der Staatsgrundgesetze ergingen, so wird
eben hierdurch der Nachweiss erbracht, dass für die Erlassung
der bezüglichen Normen das Bedürfniss zu entscheiden habe.
Verlangt es das Interesse des Verfassungslebens, dass der
Abgeordnete in seinem ausserberuflichen Verhalten den Schutz
der Immunität gegen ein disciplinarrechtliches Verfahren geniesse,
so kann der Umstand, dass ein solcher Schutz ihm bisher ver-
sagt wurde, keinen Grund dafür abgeben, von einer derartigen
Bestimmung abzusehen.
Gerade im öffentlichen Rechtsleben, dessen „Jugendlichkeit‘
gegenüber dem Privatrechte kaum in Zweifel gezogen werden
dürfte, empfiehlt es sich, dem im gegebenen Falle sich geltend
machenden Bedürfnisse sofort nach Thunlichkeit Rechnung zu
tragen, da sonst die Gefahr der Verkümmerung der Rechts-
entwicklung wohl nicht zu vermeiden ist.
Dies vorausgesetzt, steht zur Untersuchung, ob der Abge-
ordnete des Immunitätsschutzes gegen Disciplinarverfolgungen
wegen seines ausserberuflichen Verhaltens auch wirklich bedarf.
Wir meinen, dass die ratio legis, welche die Zulässigkeit
Archiv für öffentliches Recht. VIIT. 1. 9