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der strafrechtlichen Verfolgung des Abgeordneten von der Zu-
stimmung des Hauses, dem er angehört, abhängig macht, auch
für den Schutz vor der Disciplinarverfolgung geltend gemacht
werden kann.
Der Zweck der Immunitätsgesetze ist: Den Mitgliedern der
parlamentarischen Körperschaften die freie und unabhängige Aus-
übung der ihnen obliegenden Functionen zu sichern.
In dieser Ausübung können sie aber weit eher durch eine
disciplinaramtliche, als durch eine strafrechtliche Verfolgung be-
hindert werden.
Letztere ruht in den meisten Staaten in den Händen unab-
hängiger Richter, und wenn diese ihre Verfolgungsanträge der
Prüfung der parlamentarischen Körperschaften unterwerfen müssen,
so ist absolut nicht abzusehen, warum nicht auch eine diseiplinar-
amtliche Verfolgung der Oognition der Parlamente unterzogen
werden dürffe, sobald sie gegen einen Abgeordneten gerichtet ist.
Der Einwand, dass die Folgen einer Oriminaluntersuchung
schwerwiegender sind, als jene eines Disciplinarverfahrens, ist
nicht durchschlagend, weil das Ergebniss einer strafrechtlichen
Verfolgung nicht nothwendig eine Verurtheilung sein muss und
weil manche Folge eines Disciplinarverfahrens — man denke an
Entlassung aus dem öffentlichen Dienste — sich gewiss als ein
weit empfindlicheres Übel darstellt, als eine geringfügige Geld-
oder Freiheitsstrafe auf Grund eines ergangenen Straferkenntnisses.
Eine weitere Einwendung wird aus dem Grunde erhoben,
weil dem Staate das Disciplinarrecht gegen seine Beamten nicht
verkümmert werden dürfe, der Abgeordnete habe kein Recht,
unter Berufung auf seine Eigenschaft als parlamentarischer Volks-
vertreter vom Staate eine andere Behandlung in Anspruch zu
nehmen, als jeder andere Staatsdiener.
Aber auch dieses Bedenken ist nicht stichhaltig. Der Staat
ist in Wirklichkeit verpflichtet, der Form der Verfassung, die er
sich selbst gewählt hat, weitgehende Opfer zu bringen und er