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nicht an, ihr jene andern modi acquirendi gleichzustellen, mittelst
deren eine Verschiebung in dem Besitzstande mehrer durch ein
rechtliches Band unter einander verbundenen souveränen Staaten
denkbar ist, weil damit eben jede derartige Verschiebung für
unzulässig erklärt und demgemäss unleugbar dem Völkerrechte
ein Anstrich gegeben werden muss, als ob es das ewig frisch pul-
sirende Leben der Kulturvölker ın der „Ruhe des Kirchhofes“
begraben wollte, deren Uebertragung in die Politik kein halbwegs
praktisch beanlagter Kopf billigen kann; aber die Sache verhält
sich in Wahrheit auch ganz anders. Hält man sich immer wieder
an die Sätze Kants, so muss bei näherer Erwägung klar werden,
dass dem Philosophen staatsrechtliche und völkerrechtliche Begriffe
in einer Weise unter einandergelaufen sind, welche in sich ver-
fehlt ist, aber erklärlich wird, wenn man bedenkt, dass gerade zu
jener Zeit die Idee des modernen Staates zum Durchbruche ge-
langte und daraufhin, wie so oft im Eingange einer neuen, für
die Kulturwelt ganz unerwartet heraufziehenden Entwickelungs-
periode, auch damals vielfach aus einer richtigen Prämisse allzu-
weit gehende und falsche Schlussfolgerungen gezogen wurden.
Um das bestätigt zu finden, braucht man nur einen Blick auf die
Begründung zu werfen, welche Kant für seine Ansicht vorbringt:
„Ein Staat, sagt er, ist nämlich nicht (wie etwa der Boden, auf
dem er seinen Sitz hat) eine Habe (patrimonium); er ist eine Ge-
sellschaft von Menschen, über die Niemand als er selbst, zu dispo-
niren hat“, —
Das ist, in wenige treffende Worte zusammengefasst; aller-
dings die Idee des modernen Staates, als dessen begriffliche Grund-
lage das einzelne Rechtssubject, die Individualität des Einzelnen
erscheint; aber diese Formel, welche für die begriffliche Con-
struction des Staates an sich völlig einwandsfrei ist, kann nun
und nimmermehr für das Völkerrecht eine unmittelbare Bedeutung
beanspruchen.
Kant wollte mit seinem Satze andeuten, dass für den moder-