Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achter Band. (8)

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ner ganzen Ausdehnung ansieht; nun ist es aber eben das Merk- 
würdige, dass ein Zweig, welcher von einem Stamme abgetrennt 
wird und den man, nach der allgemeinen Beobachtung, für abge- 
storben halten sollte, wenn er als Pfropfreis einem anderen Stamme 
aufgesetzt wird, sich auf diesem lebenskräftiger entwickelt, als es 
ihm vielleicht sonst beschieden gewesen wäre; und so steht es 
auch offensichtlich im politischen Leben; es ist durchaus denk- 
bar, dass ein Theil des Staatsgebietes von diesem abgetrennt 
und einem andern Staatswesen einverleibt wird und hier oft 
besser gedeiht, als wenn er in seiner alten Verbindung verblieben 
wäre. Warum nun aber ein derartiger Vorgang, wenn er sich im 
Uebrigen nach den Regeln formellen, juristischen Denkens ab- 
spielt, völkerrechtlich unstatthaft sein müsse, ist schlechterdings 
unerfindlich. 
Man sieht, dass sich auch hier wieder als unrichtig erweist, 
juristische Probleme durch ein Bild aus der Natur lösen zu wollen, 
denn Rechtsphilosophie ist eben nicht Naturgeschichte und muss 
Vieles begrifflich construiren, wofür sich in der organischen Welt 
kein Gleichniss finden lässt. Es ist für den Gärtner vielleicht 
unmöglich, zwei Stämme, deren jeder bis dahin selbstständig im 
Boden wurzelte, mit einander verwachsen zu lassen; aber warum 
es nun desshalb nicht angängig sein soll, dass zwei Staaten 
gleichzeitig ihre gesonderte Existenz aufgeben und auf Grund 
eines, nach ihren eigensten Gesetzen durchaus rechtmässigen und 
bei beiden in gleicher Weise eintretenden Processes, in einander 
hineinwachsen, kann man nicht einsehen. 
Fürwahr: das Kantische Gleichniss ıst unzweifelhaft nur ein, 
nicht ganz glücklicher Nothbehelf zur Unterstützung einer Ansicht, 
welche an sich richtige, staatsrechtliche Anschauungen ohne 
entsprechende Modification auf das völkerrechtliche Gebiet über- 
trägt; der Philosoph verfällt hier in einen Irrthum, aus dem sich 
oft genug schon schiefe Vorstellungen entwickelt haben, und der 
vielleicht am Deutlichsten zeigt, wie mangelhaft das Wort. „Völker-
	        
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