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klar, dass die Individuen, welche dasselbe bewohnen, nicht auch
etwa als „das Volk‘ dieses Landstriches erscheinen, einfach dar-
um nicht, weil es keine Verfassung gibt, welche sich auf diesen
Landstrich beschränkt; selbst, wenn man gewisse Landstriche
nimmt, welche nach den Gesetzen des Staates „Selbstverwaltungs-
bezirke“ bilden, kann man nicht von einem „Volke“ derselben
reden, denn das Recht der Selbstverwaltungsbezirke ist der rich-
tigen Ansicht nach nichts in sich Begründetes, nichts Originäres,
sondern lediglich abgeleitet von den Competenzen der souveränen,
für den gesammten Staat berechneten Regierung, welche nur
aus Zweckmässigkeitsrücksichten, precario, einen Theil ihrer Com-
petenzen für einen genau begrenzten Landstrich auf den betreffenden
Selbstverwaltungskörper überträgt. Die Individuen also, welche
einen bestimmten Landstrich bewohnen, sind, als solche, nimmer-
mehr ein „Volk“; sondern immer nur die „Bewohnerschaft“, die ,Be-
völkerung“ desselben; und, wer daher jene oben gedachte Frage
bejaht, d.h. annimmt, dass die „Bevölkerung“ über den von ihr
bewohnten Landstrich ganz das nämliche Recht habe, wie das
Volk an dem Staatsgebiete, — der gelangt damit ganz von selbst
zur Construction eines „Bevölkerungsrechts“, das man freilich
bisher nur sehr selten erkannt, aber doch schon des Oefteren
gleichsam instinctiv geltend gemacht hat und das zweifellos noch
eine grosse Rolle für die politische Ausgestaltung Europas spie-
len dürfte.
Wenn nun, wie gesagt, vornehmlich die französische Wissen-
schaft sich anschickt, eine Theorie des Bevölkerungsrechtes her-
auszubilden, so würde man ihr Unrecht thun, darin, wie es ja
naheliegt, lediglich eine Bethätigung selbstsüchtiger Bestrebungen
zu erblicken, deren Ziel darauf gerichtet wäre, gewissen, von an-
derer Seite her bestrittenen Forderungen Frankreichs, einen for-
mellen Rechtstitel zu Grunde zu legen; vielmehr ist das Bevöl-
kerungsrecht ein Axiom, das thatsächlich mit der ganzen fran-
zösischen Rechtsanschauung auf das Engste verknüpft ist, denn