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fassung?‘“‘ Das Vernunftrecht ist ein Recht, das nirgends gilt,
und seinem innersten begrifflichen Wesen nach auch nirgends
gelten kann. ... Die „Vernunft“ ist die geistige Thätigkeit
des einzelnen Menschen; und jeder Einzelne hat daher seine
eigene Vernunft und legt sich sein eigenes „Vernunftrecht‘“ zu-
sammen. Erst, wenn. in der bei Weitem überwiegenden Mehr-
‚ahl der urtheilsfähigen Menschen sich dieses „Vernunftrecht“
in gleicher, übereinstimmender Weise construirt, setzen sich, der
geschichtlichen Erfahrung nach, die einschlägigen Ideen in die
Praxis um, in einem bestimmten „positiven“ Rechte. Wenn die-
ses „positive“ Recht sich überlebt, wenn es nicht versteht, sich
dem an sich unfassbaren, unfixirbaren Vernunftrechte, d. h.
der allgemeinen, dauernd nach gewisser Richtung hin thätigen
Ueberzeugung der Kulturmenschheit gemäss zu regeneriren, dann
zerfällt es in sich: dann entsteht eine Revolution, als deren
wahrer Grund die Macht der Verhältnisse erscheint, welche sich,
da ihnen eben die Beihilfe des Rechtes fehlt, auf gewaltsame
Weise zum Ausdrucke bringen so lange — bis sie ihrerseits
eine formelle Anerkennung durch das Recht finden. —
Das positive Recht kann also immer nur durch die „Revo-
lution‘“ beseitigt werden; und alles Vernunftrecht, soweit es sıch
befugt glaubt, sich jederzeit an die Stelle des positiven Rechtes
setzen zu können, ist darum „Revolution“; die blosse Gewalt:
das ergibt sich aus der „Praxis“ des Vernunftrechtes selbst am
Deutlichsten, denn wie kommt dieses dazu, über die Träger der
jeweiligen Regierung gerade ein Plebiscit in der Weise anzu-
rufen, wie dasselbe nach der französischen Theorie bisher regel-
mässig beliebt wurde? ... Das Princip der Majorıtät kann
sehr wohl in einer durchaus dem Wesen der Sache entsprechen-
den Weise als Grundlage für die Regierung eines Kulturstaates
Verwerthung finden, wenn es mit gewissen Modificationen aner-
kannt wird, wie sie in den modernen Staatsverfassungen enthal-
ten zu sein pflegen; aber wo liegt an sich auch nur der Schim-