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daraufhin sehr leicht dazu, das Volk — eben losgelöst von jeder
concreten verfassungsrechtlichen Form —, mit a. W. den Willen
der „Bevölkerung“ als die eigentliche Quelle allen Rechtes zu
betrachten, und sich ein ganz willkürliches Schema zurechtzulegen,
mittelst dessen nıan wähnt, den Willen der Bevölkerung fest-
stellen zu können.
Es braucht hier nicht lange auseinandergesetzt zu werden,
dass dieses „Bevölkerungsrecht“ nicht etwa, wie die Franzosen
meinen, der prägnanteste Ausdruck für die wahre politische Frei-
heit, vielmehr eine geradezu grundsätzliche Vorbereitung auf die
unumschränkte Dictatur einer einzelnen Persönlichkeit ist; denn
die „Bevölkerung“, da sie doch eben als solche organisirt ist,
tritt niemals von selbst ın Action, sondern immer erst auf einen
Anstoss von aussen her; es muss immer eine treibende Kraft vor-
handen sein, welche, mit den Zuständen des positiv geltenden
Rechtes unzufrieden, an die „bevölkerung‘“ appellirt und ein
Plebiscit ın Scene setzt; also in Wahrheit ist, trotz aller schönen
Redensarten, nicht die „Bevölkerung“, sondern derjenige, welcher
als Drahtzieher hinter ihr steht, der wahre „Meister der verfas-
sungsmässig berufenen Regierung“; und es ist daher nur allzu
erklärlich, dass, wie es ausnahmslos zugetroffen ist, jedesmal,
wenn die „Bevölkerung“ gesprochen hatte, nicht etwa eine Periode
der Freiheit und Gleichheit anbrach, in welcher die „ewig un-
verjährbaren Menschenrechte“ ein allen Angriffen trotzendes Boll-
werk fanden, sondern das Regiment politischer Abenteurer, wel-
chen durch das Plebiscit der Weg zur Macht in bequemster Weise
freigelegt worden war.
Aber auch, wenn dem nicht so wäre, d. h. wenn wirklich
das „Bevölkerungsrecht‘‘ immer und unter allen Umständen die-
jenige politische Wirkung hätte, welche man davon zu erwar-
ten pflegte — so wäre es trotzdem ein juristisches Unding,
mit welchem weder auf staatsrechtlichem noch völkerrechtlichem
“sebiete gerechnet werden darf; und, wenn das richtig ist, dann