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diese Empfindung geltend, wenn die Feststellung einer straf-
baren Handlung des Kindes die Voraussetzung der Unter-
bringung bildet. In diesem Falle sind die Formen des Straf-
processes ganz unentbehrlich; denn nur der Strafprocess ge-
währt der Staatsgewalt die zur Erforschung der strafbaren Hand-
lung erforderlichen Mittel, nur er gewährt dem Kinde (und dessen
Vertretern) den nöthigen Schutz vor einer ungerechten Schuldig-
sprechung. Es ist auch unerfindlich, weshalb in dem vorausge-
setzten Falle die Unterbringung eines über 12 Jahre alten, aber
wegen mangelnder Einsicht freigesprochenen Kindes vom
Strafrichter, die eines strafunmündigen Kindes dagegen
vom Vormundschaftsrichter angeordnet werden soll. Beiderlei
Anordnungen gründen sich doch auf dieselben Voraussetzungen:
das Vorliegen einer strafbaren Handlung, bezüglich deren dem
Kinde die zur Erkenntniss ihrer Strafbarkeit erforderliche Ein-
sicht fehlt, und die Gefahr weiterer Verwahrlosung; nur dass
hier der Mangel jener Einsicht vom Gesetze präsumirt, dort erst
festgestellt wird.
Andererseits reichen aber die Formen des Strafprocesses
noch nicht aus, da derselbe doch nur auf Feststellung der Straf-
that, nicht auch auf Ermittelung der für die Beurtheilung der
Verwahrlosung erheblichen Lebensverhältnisse des Kindes abzielt.
Im heutigen Strafprocesse wird daher die dem erkennenden Ge-
richt nach $ 56 Abs. 2 Str.-G.-B. obliegende Bestimmung, ob der
jugendliche, wegen mangelnder Einsicht freigesprochene Ange-
schuldigte seiner Familie überwiesen oder in eine Erziehungs-
oder Besserungsanstalt gebracht werden soll, öfter den Stempel
einer gewissen Oberflächlichkeit tragen, da die Hauptverhandlung
doch nicht immer ein klares Bild von dem Vorleben des Kindes
und der Umgebung, in welcher es aufgewachsen ist, entrollt.
3. Vom Gesichtspunkte des Eingriffes in die Privatrechts-
sphäre der Eltern aus betrachtet müsste endlich das Zwangs-
erziehungsverfahren mit allen denjenigen Cautelen umgeben