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Zwecken der Erhöhung der Wehrkraft zu Angrifts- oder Ver-
theidigungszwecken (Pferdeausfuhrverbote u. s. w.).
Wenn wir also den ausgeschiedenen Begriff der Prohibitiv-
zölle hier ausser Acht lassen, so finden wir, dass das deutsche
Reich in der kurzen Zeit seines Bestehens den Uebergang von
dem einen der beiden oben erwähnten Systeme von Zöllen zum
andern ziemlich schnell durchgemacht hat. Als das Reich in
seiner jetzigen Gestalt erstand, fand es als Erbschaft seiner Vor-
gänger, des Norddeutschen Bundes und des Zollvereins, ein Zoll-
system vor, welches ım Wesentlichen nur noch auf dem Gedanken
der Finanzzölle beruhte und mit Bewusstsein das Ziel einer
schrittweise durch Handelsverträge anzustrebenden allgemeinen
internationalen Zollfreiheit des Handelsverkehrs ın’s Auge gefasst
hatte, wie es ja eine solche schon innerhalb der Grenzen des
deutschen Bundes herbeigeführt hatte. Wie sehr damals nicht
nur die massgebenden Regierungskreise der Schöpferin und füh-
renden Macht des Zollvereins, Preussens. sondern auch die ge-
sammte conservative Partei dieses Landes die Ziele und Grund-
sätze des sog. Freihandels sich zu Eigen gemacht hatte, lehrt
nicht nur ein Blick in die Handels-Artikel der Kreuzzeitung in
den 50er und 60er Jahren bis in die 70er hinein, sondern auch
ein solcher in das „‚Staats- und Gesellschafts-Lexicon‘ !!) des Wirk-
lichen geheimen Ober-Regierungsrathes HERMANN WAGENER (Berlin
1862—67) unter den Worten „Zoll“ und „Handelsverträge“, bei
welch’ letzterem Wort es z. B. heisst: „da hiernach Zölle
sich nur rechtfertigen lassen, wenn sie zur Förderung der Pro-
duction und dadurch zur Vermehrung der Staatseinnahmen bei-
tragen“ (also reine Finanzzölle!), „während sie unbedingt
verwerflich sind, wenn sie den internationalen Tausch-
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11) Dieses Werk, welches mit Absicht und Bewusstsein gegenüber den
in RoTTEck und WeELcKeEr’'s Staatslexicon niedergelegten Grundzügen der
„liberalen“ Weltanschauung die der „conservativen‘ aufzustellen bestimmt
war, enthielt damals unstreitig ein formulirtes Programm der Partei.