— 426 —
Bedeutung des Kaiserthums kann man nur gerecht werden, wenn
man es nicht bloss vom rein logisch-juristischen Standpunkte,
sondern als eine im Flusse und in voller Entwickelung begriffene
historische Erscheinung auffasst. Bei einer solchen eine einheit-
liche juristische Structur zu finden, ist freilich ein schwieriges
und in manchen Beziehungen ein vergebliches Bemühen. Wohl
aber vermag man die einzelnen Bausteine zu erkennen, aus denen
das Gebäude besteht, man vermag zu sagen, wie weit der Bau
gediehen ist und wohin er strebt.
Obgleich das Kaiserthum kaum mehr als zwei Jahrzehnte
besteht, so hat es doch eine sehr viel längere Geschichte. Es
soll hier keineswegs versucht werden, diese Institution des neuen
Reichsstaatsrechtes anzuknüpfen an das einer ganz anderen staats-
rechtlichen Ideenwelt angehörige Kaiserthum im heiligen römi-
schen Reiche deutscher Nation. Ebenso fern muss es liegen, die
Kaiserideen der deutschen Einheitsbestrebungen als Vorläuferin
einer Rechtsinstitution zu betrachten. Wohl aber hat das Kaiser-
thum einen sehr concreten Vorläufer in der Präsidialmacht des
ehemaligen deutschen Bundes. Das alte Bundesrecht muss um
deswillen den Ausgangspunkt für die weiteren Ausführungen bil-
den, weil die preussischen Reformvorschläge vom 10. Juli 1866,
aus denen die norddeutsche Bundesverfassung und somit mittel-
bar die Reichsverfassung hervorgegangen ist, im Wesentlichen von
den im deutschen Bunde bestehenden Rechtsverhältnissen aus-
gingen und diese nur in einzelnen Punkten modificirten.
Der deutsche Bund war, wie Art. 1 der Wiener Schlussacte
vom 8. Juni 1820 ausdrücklich anerkennt, ein völkerrechtlicher
Verein der deutschen souveränen Fürsten und freien Städte. Es
kann für den vorliegenden Zweck dahin gestellt bleiben, ob der
Bund in privatrechtlicher, völkerrechtlicher oder staatsrechtlicher
Hinsicht oder in einer dieser Beziehungen ein selbstständiges
Rechtssubject, oder ob er nur ein Societätsverhältniss der betheilig-