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scheidende deutsche Kaiser als Organ des Reiches Rechte aus-
zuüben.
Diese Aenderung in der Rechtsstellung des Königs von Preussen
war nicht bloss eine Frage der juristischen Construction, sondern
zog ohne Weiteres praktische Folgen nach sich. Ein an den
Reichskanzler gerichteter Allerhöchster Erlass vom 1. Januar 1872
übertrug die Marineverwaltung wie das Commando von preussischen
Behörden auf eine Reichsbehörde, die Admiralität, so dass die
preussischen Rechte gegenüber der Reichsmarine verschwanden.
Wenn das gleiche Ergebniss auf dem Gebiete des Kriegswesens
nicht erreicht, ein Reichskriegsamt nicht begründet wurde, so lag
dies einfach daran, dass die Militärverwaltung einen Theil der
den Einzelstaaten verbliebenen Contingentsherrlichkeit bildete und
durch Vertrag mit Preussen nur auf preussische Behörden über-
tragen werden konnte. Die Thatsache, dass das Obercommando
nicht mehr dem Könige von Preussen, sondern dem Kaiser zu-
steht, blieb durch den Fortbestand der preussischen Uontingents-
verwaltung unberührt. Die Unterscheidung zwischen Bundes-
präsidium und Commando über Heer und Flotte ist nicht mehr
in Bezug auf die Rechtsstellung des Kaisers überhaupt, sondern
nur noch in Bezug auf die Ausübung der kaiserlichen Rechte, die
ministerielle Gegenzeichnung des Reichskanzlers, von Bedeutung.
Entgegen den der Abfassung der norddeutschen Bundes-
verfassung zu Grunde liegenden Intentionen, entgegen den noch
bei Berathung der norddeutschen Bundesverfassung im Reichs-
tage seitens der verbündeten Regierungen abgegebenen Erklär-
ungen, entgegen endlich der der Uebertragung der Kaiserwürde
auf Preussen beigelegten Bedeutung hat sich somit, fast ohne
dass die Urheber der Veränderungen sich der Tragweite derselben
bewusst waren, die Institution des Kaiserthums entwickelt. Das
Kaiserthum umfasst nieht mehr Rechte des preussischen Staates
gegenüber den anderen deutschen Staaten. Denn wären die