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sich dıe Versammlungen der politischen Parteien in weit höherem
Maasse mit dieser als mit jener; die Reform des Wahlrechtes
war das Schlagwort, das auch die breitesten Massen der Be-
völkerung in Erregung versetzte und selbst die Kreise in Be-
wegung brachte, welche den politischen Fragen sonst ziemlich
indolent gegenüberstehen, während die Einführung des Königs-
referendums nur in verhältnissmässig engen Schichten lebhaft
erörtert wurde, der Grund hierfür liegt auf der Hand; für die
praktische Bedeutung des Referendums ist die Frage, welche
Personen den Kreis der stimmberechtisten Wähler bilden, von
höchstem Werthe; würde in Belgien das allgemeine Wahlrecht
eingeführt, so hätte natürlich die unmittelbare Befragung der
Wählerschaft eine ganz andere Wichtigkeit und Tragweite, als
wenn die Wahlberechtigten nur einen kleinen Bestandtheil der
Nation bildeten. Während nun der Ausfall der Wahlen für die
mit der Revision der Verfassung zu betrauende Kammer das
Schicksal des Referendums zweifelhaft erscheinen liess und es
auch nachher noch fraglich blieb, ob die Regierung trotz des
Widerstandes des grössten Theiles der Rechten auf der Ein-
führung desselben beharre, ist unmittelbar nach dem Beginn des
neuen Jahres die Ungewissheit beseitigt worden, die Regierung
schlug der neugewählten Kammer die Einführung des Königs-
referendums nicht vor, sie hatte ihre dahin gerichtete Absicht auf-
gegeben und man wird nicht fehl gehen, wenn man den Grund
hiefür in dem Ergebniss der Wahlen für die Deputirtenkammer
und in deren Zusammensetzung erblickt.
Damit wäre der erste Versuch, in einem monarchischen
Staate eine Art Referendum einzuführen, vorläufig gescheitert;
bedeutungslos ist derselbe indessen trotz dieses Ausganges nicht,
die Ansicht, dass eine directe Befragung der Wählerschaft
über eine concrete Frage der Gesetzgebung mit dem Wesen
der constitutionellen Monarchie durchaus unverträglich sei, hat
durch diesen Versuch einen ziemlichen Stoss erhalten; aller-