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beabsichtigte Willenserklärung des Antragstellers für eine un-
gültige erachtete in Hinblick auf $29 Th. II Tit. 2 der Allgem.
Gerichts-Ordnung ein Bedenken nicht herzuleiten. Dagegen fühlt
in materieller Hinsicht der Antragsteller sich mit Recht beschwert.
Die 88 41, 42 Theil II Titel 11 des preuss. All.-L.-R. be-
handeln den Austritt aus einer Kirche bei gleichzeitigem Ueber-
trıtt ın eine andere. Im Anschlusse hieran hatte das preussische
Obertribunal in mehreren Entscheidungen (Entsch. Bd. 27 S. 375)
Str.-Archiv Bd. 12 S. 110 (Entsch. Bd. 58 S. 351) an der Auf-
fassung festgehalten, dass Mitglieder der anerkannten Kirchen
durch den blossen Austritt aus der Kirche oder ıhren Uebertritt
zu einer vom Staate nur geduldeten Religionsgesellschaft von der
Verpflichtung zu der Parochiallast ihrer bisherigen Kirche bei-
zutragen, nicht befreit würden. Das Gesetz vom 14. März 1873
bezweckt nun, zur Beseitigung einerseits der aus der Praxis des
höchsten Gerichtshofes hervorgegangenen Beschwerden, anderer-
seits der in den einzelnen Landestheilen vorhandenen Verschieden-
heiten eine das ganze Staatsgebiet umfassende Regelung der Form
und der bürgerlichen Wirkungen des Austritts aus der Kirche
herbeizuführen (Motive zu dem Entwurf des Gesetzes betr. den
Austritt aus der Kirche -— Anlagen zu den stenogr. Berichten
des Landtags S. 436, 437). Der Inhalt des Gesetzes ist also
seinem Zweck gemäss öffentlichen, indess nicht politischen, sondern
rein bürgerlichen Rechts. Allerdings ist das Gesetz ein preussi-
sches. Wenn aber seitens des Amtsgerichts hieraus weiter ge-
folgert wird, dass die Normen dieses Gesetzes nur auf preussische
Staatsangehörige, unter Ausschluss nichtpreussischer Reichsange-
höriger anwendbar seien, so ist die einschneidende Bedeutung
nicht gewürdigt, welche dem Artikel 3 der Reichsverfassung
zukommt.
Das Wesen dieser Verfassungsbestimmung kann begrifflich
insoweit als unbestritten angesehen werden, dass Artikel 3 den
(negativen) Rechtssatz enthält, kein Deutscher dürfe in rechtlicher
Beziehung ungünstigeren Regeln unterworfen werden, als der An-
gehörige des eigenen Staates (LABann, Staatsrecht des deutschen
Reiches 2. Auflage S. 169). Es unterliegt nun keinem Zweifel,