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anschliessenden Vorschläge dahin: Er will, da eine Durchzählung der im ganzen
Reiche für jede Partei abgegebenen Stimmen auf zu grosse praktische Schwie-
rigkeiten stossen würde, grössere Wahlbezirke, etwa in der Grösse von Baden,
bilden, sodass jeder Kreis eine grössere Anzahl von Abgeordneten zu wählen
hätte. Das Wahlgeschäft wäre damit einzuleiten, dass die Parteien ihre of-
ficiellen Candidatenlisten aufstellen. Nur Ausschüsse von etwa 10—20 Köpfen
dürften die Befugniss dazu haben und ferner hätten die Ausschussmitglieder
die Vorschlagsliste zu unterzeichnen und jeder darin Genannte hätte eine Er-
klärung über die Annahme der Kandidatur abzugeben. Die Abstimmung hätte
zu erfolgen in Form der sog. doppelten gleichzeitigen Stimmgebung, wonach
sich der Abstimmende gleichzeitig für eine Parteiliste und innerhalb derselben
für einen bestimmten oder einen andern von ihm zu benennenden Candidaten
zu erklären hat. Gezählt würden werden erst im einzelnen Wahlbezirk, dann
im ganzen Wahlkreise die auf jede Partei entfallenen Stimmen und die den ein-
zelnen Candidaten gewordenen Bevorzugungen. Nach der Zahl der ersteren
würde sich die Zahl der auf die verschiedenen Parteien kommenden Ver-
treter bemessen, die Zahl der Bevorzugungen aber würde bestimmen, in welcher
Reihenfolge die Candidaten in den Gesetzgebungskörper berufen werden. Was
die Vertheilung der Mandate auf die Listen betrifft, so entscheidet sich Ver-
fasser für das von dem belgischen Rechtsgelehrten VıcTor D’HONDT im Jahre
1882 vorgeschlagene anerkannt beste Verfahren. Stichwahlen und Ersatz-
wahlen würden vermieden werden, indem man den innerhalb einer Parteiliste
mit der nächstgrösseren Stimmenzahl Bedachten als Ersatzmann betrachtet.
Das mittelbare Wahlverfahren wäre mit dem Proportionalwahlsystem nicht
vereinbar.
Bisher hat noch kein grösserer Staat eines der vorgeschlagenen Pro-
portionalwahlverfahren bei sich einzuführen versucht. Italien hat im Jahre
1891 das seit 1882 eingeführte Listenscruntinium mit Minoritätenvertretung
wieder aufgehoben. Der Grund liegt doch wohl in der allzugrossen Compli-
eirtheit des bei jedem Proportionalwahlsystem nöthigen Wahlmechanismus.
Allerdings dürfte die vom Verfasser vorgeschlagene Wahlkreiseintheilung das
Verfahren wesentlich einfacher gestalten. Schliesslich möchten wir noch be-
tonen, dass das System der Verhältnisswahlen nach den Vorschlägen des
Verfassers denn doch nicht, wie er meint, lauter Vorzüge, sondern auch ge-
wisse Schattenseiten haben würde. Vor Allem würde die Macht des berufs-
mässigen Parlamentarierthums ungemein wachsen. Auf den Listen würden
aus parteitactischen Rücksichten nur in weiteren Kreisen bekannte Namen zu
finden sein. Auch würde den leitenden Parteiführern bei der Aufstellung der
Listen, z. B. bei der Voranstellung und Ordnung der Namen, ein sehr grosser
Einfluss zufallen. Jetzt gehen doch häufig die Wahlen in der Weise vor
sich, dass in einem Wahlkreise irgend ein beliebter Mann als Candidat auf-
gestellt wird, dem die Wähler ihr persönliches Vertrauen schenken, ohne dass
derselbe bereits besondere parlamentarische Verdienste besässe und ohne dass