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„Land und Leute“ als gleichberechtigte Factoren in den Staats-
begriff aufnimmt, so übersieht man doch offenbar, dass das Land,
der begrenzte Theil der Erdoberfläche, nie Staat heissen kann,
dass aber eine Corporation, auch ohne dass dieselbe an ein be-
grenztes Stück Erde gefesselt wäre, sehr wohl die entscheidenden
Merkmale des Staates aufweisen kann. Man spricht von einem
Staat im Staate“ und will damit eine Gefahr für das öffentliche
Leben kennzeichnen, wenn ein Verein eine unbeschränkte Gewalt
über seine Mitglieder auszuüben scheint. Thatsächlich sind solche
Befürchtungen meist übertrieben, weil, wenn auch der Wunsch
vorhanden sein mag, doch die Mittel fehlen, um eine solche
Herrschaft herzustellen. Aber der Sprachgebrauch bezeich-
net vollkommen richtig dasjenige, was die Corporation zum
Staat macht. Jedes Gemeinschaftswesen in Vereinen, Familien,
Kirchen hat eine theilweise Unterordnung des individuellen
Willens unter den Willen der (scsammtheit oder ihrer Vertreter
zur Folge. Staat aber ıst diejenige Genossenschaft, in welcher
der allgemeine Wille dem individuellen Willen unbedingt über-
legen ist. Diese unbeschränkte Herrschaft des (Gesammtwillens
über den Einzelwillen ist auch bei einem Nomadenvolke denkbar,
welches seinen Wohnsitz und damit das Lokal der staatlichen
Herrschaft unablässig wechselt. Wenn die Bewohner eines kleinen
Landes — man denke, um der Phantasie nicht zu viel zuzumuthen,
an Lichtenstein oder Monaco — Europas müde in einen fernen
Welttheil zögen, so würden ihnen die Ansprüche ihrer Staats-
gläubiger dahin folgen, während die Nachfolger im Besitze des
vakant gewordenen Gebietes nicht ohne Weiteres für die Ver-
pflichtungen ihrer Rechtsvorgänge im Gebiete haftbar gemacht
werden könnten. Es würde in diesem Falle Jedem einleuchten,
dass der Staat da ist, wo die Leute sind, nicht wo das Land
liegt.
Sobald in den Begriff des Staates ein Moment aufgenommen
wird, welches nicht aus der Genossenschaft und dem Verhältniss