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unbegrenzter Dauer an seine Stelle getreten‘ — Interregnum. Und damit
entsteht die Frage: stürzt das Gebäude nicht zusammen, wenn es seines
Trägers beraubt ist, giebt es einen Staat ohne Monarchen ?
Vier Fälle sind es insbesondere, in denen diese Erwägung praktisch
wird, einmal in der Wahlmonarchie bis zur Creirung des neuen Herrschers,
ferner in der Erbmonarchie, wenn ohne Vorhandensein eines Successions-
berechtigten die Dynastie ausstirbt oder der letzte Thronerbe verzichtet,
endlich wenn der König mit Hinterlassung einer schwangeren Wittwe stirbt.
Alle diese Fälle sind im Laufe der Geschichte vorgekommen, und TrıEPEL
giebt ein anschauliches Bild vornehmlich von den im deutschen Reiche nöthig
gewordenen Interregnen. Von jeher hat man hier, wie der Herr Verfasser
in interessanter dogmengeschichtlicher Ausführung darlegt, trotz Wegfalls
des Monarchen an der Fortexistenz des Staates festgehalten, und zwar, indem
ein Uebergang der erledigten Majestät an das Volk als Ganzes con-
struirt wurde, theils vom Standpunkt der Volkssouverainetät — BEBENBURG,
Pvrenporr, ALtavsıus, Bortıvs —, theils aus dem Gesichtspunkt der
Herrschaftsverträge — HerT, BÖHMER, Darıes. Auch für die Gegenwart
kommt TRrIErPEL auf Grund der organischen Staatstheorie zu demselben
Resultate: Der Staat besteht, weil und solange er willensfähig ist. Die Willens-
bildung erfolgt der Regel nach durch den Träger der Staatsgewalt, aber
keineswegs immer durch ihn allein und nur durch ihn. Die Organe der
Rechtsprechung zum Beispiel sind neben dem Monarchen stehende und von
ihm unabhängige Willensfactoren, der Regent herrscht unter völliger Beiseite-
setzung des regierungsunfähigen Königs, die Kammern beschliessen über die
Nothwendigkeit einer Regentschaft und somit über die Selbstregierung des
Staatsoberhauptes unter Ueberwältigung des monarchischen Willens. Die den
Staat bildende Personengesammtheit ist also zur Hervorbringung und Aeusserung
eines Gesammtwillens auch dann befähigt, wenn sie des Monarchen ermangelt,
sobald sie nur andere Organe zur Willensbildung besitzt. Dass diese Organe
dem Monarchen nicht ebenbürtig und dem von ihnen erzeugten Staatswillen
unterthan sind, ist für die Möglichkeit einer Entstehung des letzteren und
damit für die Existenz des Staates irrelevant. Der Staat besteht daher auch,
wenn der Monarch wegfällt, und zwar weiterhin als der alte Staat; denn
ebenso wie die Unterthanen kommen und gehen, wie die Staatszwecke sich
ändern, können auch die zur Willensbildung des Staates berufenen Factoren
wechseln.
Diese Deduction ist nicht nur einleuchtend, sie ist sogar als ein nicht
unwesentlicher Fortschritt zu bezeichnen, indem sie zum ersten Male die
organische Staatstheorie auf den Fall des Interregnums exemplificirt. Eine
durchaus richtige Consequenz zieht der Herr Verfasser aus seiner Lehre,
wenn er dem Vicar die Ausübung der vollen Staatsgewalt anvertraut. Zwei
Ausnahmen werden aufgestellt, der Vicar dürfe nicht Staatsacte vornehmen,
die nach der Verfassung dem Könige allein vorbehalten sind, wie Begnadigung