Full text: Archiv für öffentliches Recht.Neunter Band. (9)

— 154 — 
unbegrenzter Dauer an seine Stelle getreten‘ — Interregnum. Und damit 
entsteht die Frage: stürzt das Gebäude nicht zusammen, wenn es seines 
Trägers beraubt ist, giebt es einen Staat ohne Monarchen ? 
Vier Fälle sind es insbesondere, in denen diese Erwägung praktisch 
wird, einmal in der Wahlmonarchie bis zur Creirung des neuen Herrschers, 
ferner in der Erbmonarchie, wenn ohne Vorhandensein eines Successions- 
berechtigten die Dynastie ausstirbt oder der letzte Thronerbe verzichtet, 
endlich wenn der König mit Hinterlassung einer schwangeren Wittwe stirbt. 
Alle diese Fälle sind im Laufe der Geschichte vorgekommen, und TrıEPEL 
giebt ein anschauliches Bild vornehmlich von den im deutschen Reiche nöthig 
gewordenen Interregnen. Von jeher hat man hier, wie der Herr Verfasser 
in interessanter dogmengeschichtlicher Ausführung darlegt, trotz Wegfalls 
des Monarchen an der Fortexistenz des Staates festgehalten, und zwar, indem 
ein Uebergang der erledigten Majestät an das Volk als Ganzes con- 
struirt wurde, theils vom Standpunkt der Volkssouverainetät — BEBENBURG, 
Pvrenporr, ALtavsıus, Bortıvs —, theils aus dem Gesichtspunkt der 
Herrschaftsverträge — HerT, BÖHMER, Darıes. Auch für die Gegenwart 
kommt TRrIErPEL auf Grund der organischen Staatstheorie zu demselben 
Resultate: Der Staat besteht, weil und solange er willensfähig ist. Die Willens- 
bildung erfolgt der Regel nach durch den Träger der Staatsgewalt, aber 
keineswegs immer durch ihn allein und nur durch ihn. Die Organe der 
Rechtsprechung zum Beispiel sind neben dem Monarchen stehende und von 
ihm unabhängige Willensfactoren, der Regent herrscht unter völliger Beiseite- 
setzung des regierungsunfähigen Königs, die Kammern beschliessen über die 
Nothwendigkeit einer Regentschaft und somit über die Selbstregierung des 
Staatsoberhauptes unter Ueberwältigung des monarchischen Willens. Die den 
Staat bildende Personengesammtheit ist also zur Hervorbringung und Aeusserung 
eines Gesammtwillens auch dann befähigt, wenn sie des Monarchen ermangelt, 
sobald sie nur andere Organe zur Willensbildung besitzt. Dass diese Organe 
dem Monarchen nicht ebenbürtig und dem von ihnen erzeugten Staatswillen 
unterthan sind, ist für die Möglichkeit einer Entstehung des letzteren und 
damit für die Existenz des Staates irrelevant. Der Staat besteht daher auch, 
wenn der Monarch wegfällt, und zwar weiterhin als der alte Staat; denn 
ebenso wie die Unterthanen kommen und gehen, wie die Staatszwecke sich 
ändern, können auch die zur Willensbildung des Staates berufenen Factoren 
wechseln. 
Diese Deduction ist nicht nur einleuchtend, sie ist sogar als ein nicht 
unwesentlicher Fortschritt zu bezeichnen, indem sie zum ersten Male die 
organische Staatstheorie auf den Fall des Interregnums exemplificirt. Eine 
durchaus richtige Consequenz zieht der Herr Verfasser aus seiner Lehre, 
wenn er dem Vicar die Ausübung der vollen Staatsgewalt anvertraut. Zwei 
Ausnahmen werden aufgestellt, der Vicar dürfe nicht Staatsacte vornehmen, 
die nach der Verfassung dem Könige allein vorbehalten sind, wie Begnadigung
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.