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für den Menschen eine rechtliche Nothwendigkeit des Essens und
Verdauens, des Athmens und der Herzthätigkeit aufstellen. Ein
Beweis, weshalb das im Staate organisirte Volk nicht fähig sein
sollte, das von ihm beherrschte Gebiet aufzugeben, zu vertauschen,
weshalb ein solcher Tausch so unmöglich sein sollte, wie ein
Wechsel der Leiber zwischen zwei Menschen, ist nicht erbracht.
Jedenfalls wird im völkerrechtlichen Verkehre von den Staaten
über ihr Gebiet verfügt, wie der Eigenthümer über sein Grund-
stück verfügt und die angeblich wissenschaftlich unmögliche An-
schauung von dem Staat als Subjekt, dem Gebiete als Objekt des
Rechtes ist ohne Frage diejenige, welche die Praxis des inter-
nationalen Verkehrs beherrscht. Diese Ansicht wird denn auch
von hervorragenden Lehrern des Staatsrechtes vertreten. LABAND
nennt die Gebietshoheit ein „staatsrechtliches Sachenrecht“ und
GERBER bezeichnet das Staatsgebiet als „das sachliche Objekt der
Staatsherrschaft“. Gegen diese Auffassung des Gebietes kann
man auch nicht den Umstand geltend machen, dass das Staats-
gebietsrecht die Staatengesellschaft voraussetzt. Mit Recht sagt
FRickEr®), dass „alles Recht ein Verhältniss von Subjekt zu Sub-
jekt‘“‘ und auch „das Eigenthum ein Verhältniss zu anderen Per-
sonen in Beziehung auf eine Sache“ ist. So soll das Staats-
gebietsrecht nach Fricker „ein Verhältniss des Staates zu anderen
Staaten in Bezug auf das Gebiet“ sein. Welches aber sind die
Wirkungen des dem Staate zugeschriebenen dinglichen Reclıtes?
Offenbar kann man ein neben dem Privateigenthum an Grund
und Boden bestehendes Recht des Staates an der ‚„universitas
agrorum‘“ nur dann annehmen, wenn sich Befugnisse der Staats-
gewalt zur Verfügung über dieselbe nachweisen lassen, welche in
dem Herrscherrecht über die Unterthanen keine Erklärung finden.
Der nächstliegende Gedanke ist, das Recht der Expropriation auf
ein dingliches Recht der Staatsgewalt an Grund und Boden zu-
6) Vom Staatsgebiet. Tübingen 1867.