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den Erfordernissen des Völkerrechtes widerspricht, kann auch
für das Staatsrecht nicht richtig sein. Denn die Persönlichkeit
des Volkes — dieser fundamentale Gedanke des modernen Staats-
rechtes — ist selbst ein Produkt der völkerrechtlichen Betrach-
tung. Der Staat kann nur in der Staatengesellschaft verstanden
werden. Wenn also das Völkerrecht die Persönlichkeit des Staates
localisirt, so ist dies ein ausreichender Beweis dafür, dass der
Staat selbst ohne Gebiet nicht gedacht werden kann, dass viel-
mehr das Volk, welches durch die staatliche Organisation Person
wird, das im Staatsgebiete ansässige Volk ıst. Das Staatsgebiet
ist also weder der Leib des Staates, noch das Objekt seiner
Herrschaft, sondern das Domicil des Volkes!!). Wenn aber das
Volk als Persönlichkeit des Völkerrechtes und des Staatsrechtes
(lurch das gemeinsame Domicil charakterisirt wird, so folgt daraus,
dass auch der Einzelne als Glied der Nation, als Bürger des
Staates durch seine Theilnahme an diesem gemeinsamen Domicil
legitimirt ist. Deshalb erhält das Staatsgebietsrecht seinen posi-
tiven Inhalt durch die Rechtssätze über die Staatsangehörigkeit.
Es wäre aber verkehrt, diese Rechtssätze ausschliesslich in
den modernen Gesetzen über Erwerb und Verlust der Staats-
angehörigkeit zu suchen. Eine der praktisch bedeutsamsten Ur-
sachen der Veränderung der Staatsangehörigkeit wird in diesen
Gesetzen gar nicht erwähnt: die Aenderung der Staatsgrenzen.
Und doch ist es unzweifelhaft, dass in Folge jeder Abtretung
von Staatsgebiet auch die Staatsangehörigkeit der Bewohner des
abgetretenen Gebietes wechselt. Bestimmungen über das Recht
der Option haben jenen Satz zur Voraussetzung. Der Elsässer
ist seit dem Frankfurter Frieden Deutscher, weil er Bewohner
deutschen Reichsgebietes geworden ist. Hier tritt also klar zu
Tage, dass die Staatsangehörigkeit des Menschen durch sein
Domicil bestimmt wird.
11) Fricker definirt den Staat als „das in bestimmtem Raume für das
Recht organisirte Volk*.