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Nothwendigkeit von Bedeutung werden könnte, „da die Nothwendigkeit eine
bestimmte Massregel zu treffen (ein sog. formelles Gesetz zu erlassen) früher
dringend werden kann, als die Nothwendigkeit, allgemeine Normen für künf-
tige Fälle zu erlassen.“ Der Verf. versteht also unter Gesetz im formellen Sinn
nicht eine Anordnung in Gesetzesform, sondern eine Massregel für einen
einzelnen Fall, gleichviel in welcher Form, was allerdings der reine Unsinn
ist. Trotzdem macht sich freilich der Unterschied zwischen Gesetzesform
und Rechtsinhalt, weil er eben sachgemäss ist, an zahllosen Stellen bemerkbar;
der Verf. stellt wiederholt in Gegensatz: die „Gesetzgebungsmaterie“ und die
„Verordnungsgewalt“ (S. 1 Note 2, vgl. S. 77 oben u. a.), die Form der
Verordnung und die Gesetzesform (8. 14); er unterscheidet „Verfassungs-
gesetze im materiellen und formellen Sinne“ (8. 83, 96); S. 128 sagt er sogar
ausdrücklich „Gesetz ist nicht nur die auf eine bestimmte Weise wirkende,
sondern auch die auf eine bestimmte Weise zu Stande gekommene staatliche
Anordnung“ und bekennt sich dadurch trotz allen Sträubens zur Theorie vom
formellen Gesetz. Dagegen gelangt er nirgends zum Verständniss der Bedeu-
tung und Tragweite dieses Unterschiedes und was er S. 122ff. über das Wesen
der Gesetzeskraft ausführt, zeugt von einer fast unglaublichen Unwissenheit
und Unreife. Es ist daher auch nicht zu verwundern, dass er mit dem
Begriff des Gesetzes umspringt, wie es ihm gerade passt; bald begründet er
cine Behauptung damit, dass die Nothverordnung kein Gesetz ist (z. B.
S. 14, 53 u. oft), bald damit, dass sie ein Gesetz ist und Gesetzeskraft habe
(z. B.S. 44, 136). Am schlimmsten aber tritt die Verwirrung bei der Dar-
stellung der Genehmigung der Nothverordnung seitens der Volksvertretung
hervor; hier wirft der Verf. die Umwandlung der provisorischen Gesetzeskraft
der Verordnung in die definitive und die Entlastung der Regierung von ihrer
Verantwortlichkeit für den Erlass der Verordnung fortwährend durcheinander
und sieht sich ausser Stande, die massgebenden Prinzipien klar zu stellen
und in ihren Gründen und Wirkungen auseinander zu halten. Dem Verf.
fehlt es nicht an juristischer Begabung und logischer Schärfe und er wird
vielleicht noch einmal etwas Tüchtiges leisten; dagegen fehlt es ihm bisher
noch an der richtigen Methode der Behandlung und an einem gewissen Tact-
gefühl für die Unterscheidung zwischen dem, was wissenschaftlich bedeutsam
und was unreife oder pedantische Düftelei ist.
\ Laband.
Festgabe der Göttinger Juristen-Fakultät für RudolfvonIhering
zum fünfzigjährigen Doktor-Jubiläum. Leipzig. A. Deichert'-
sche Verlagsbuchh. Nachf. (Georg Böhme). 1892. 8. 2108. 4,50 M.
Unter den zahlreichen, dem verewigten Meister R. v. IdErme zum
ö0jährigen Doktor-Jubiläum überreichten Festschriften dürfen in erster Reihe
die von der kollegialisch unmittelbar betheiligten Göttinger Juristen-Fakultät
dargebrachten litterarischen Gaben auf unser Interesse Anspruch erheben.