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Auch in den Anfängen der Reformation findet Sonm wieder den voll-
kommenen Verzicht auf das Recht. Luther habe „das“ Kirchenrecht ver-
brannt. Auch hier wird das nächstliegende übersehen. Sein Doktordiplom
und seine theologische Professur hat Luther nicht verbrannt. Nicht erst die
Uebertragung bischöflicher Rechte an die Landesherren, sondern schon die
Beibehaltung des Pastorats und der bürgerlichen Ortsgemeinde als Kirch-
gemeinde hat auch der evangelischen Kirche Kirchenrecht eingepflanzt.
Allerdings enthält die Reformationszeit den Versuch, eine Kirche zu bilden
ohne Recht: das sind die Täufergemeinden in ihrer ersten geistlichen Ge-
stalt. Sie sind zu Sonm’s Buch das nächstverwandte geschichtliche Ana-
logon.
Dennoch kann Soum’s Arbeit für die kirchenrechtliche Theorie und
Praxis von höchst fruchtbarem Einfluss sein. Jene beiden Faktoren, welche
SoHM gegen einander in Spannung setzt: die sinnenfällige Thatsache, die
allein „Recht“ schafft, und die geistigen Potenzen, die jener erst religiösen
Werth verleihen, mit einander in Einheit zu erhalten, bildet fortwährend eine
ernste Schwierigkeit, welche die Leitung der Kirche zur besonders schweren
Aufgabe macht. Dass sich die Aufmerksamkeit bei der Behandlung der
Rechtsgeschichte und der Lösung der rechtlichen Probleme überwiegend
auf das sinnenfällige „formelle“ Moment konzentrirt, ist leicht verständlich.
SoHM hat kräftig nach der entgegengesetzten Richtung gesprochen und dafür
wird ihm jeder Theologe danken. Auch haben wir im kirchlichen Gebiet
eine Menge von rechtlichen Bildungen, die von der Geschichte überholt
sind und ihren Grund verloren haben; ich denke an die Konfusion der
Kirchgemeinden mit den politischen Gemeinden, an die religiösen Funk-
tionen der Magistrate, an die kirchlichen Verhandlungen unserer Parlamente,
an die bischöfliche Würde unserer Landesherren; hier hat Soum’s Ergebniss:
fiat amputatio, ein weites Feld der Anwendung. Auf das Recht an sich
übertragen, tastet es jedoch eine naturhafte, also von Gott gesetzte Lebens-
bedingung jeder menschlichen Gemeinschaft an.
Berlin. A Schlatter.
Hartmann, Gustav, Leibniz als Jurist und BRechtsphilosoph.
Tübingen. 1892. H. Laupp. 8°. 1 Bl. und 121 Seiten. Preis 2 Mk.
HarTMmann’s Abhandlung, der Sonderabdruck aus der Festgabe der
Tübinger Juristenfakultät zum 50jährigen Doktorjubiläum Rudolfv. Ihe-
rings, bildet einen vortrefilichen Beitrag zur Geschichte der deutschen
Rechtswissenschaft. Aus dem reichen Inhalte dieser Muster- und Meisterarbeit
verdient hier der 5. Abschnitt hervorgehoben zu werden, in dem Verf. u.a.
die staats- und völkerrechtlichen Einzelschriften Leıpnızens analysirt und
namentlich eine gediegene Charakteristik des „tractatus de jure suprematus“
gibt. Wer Harrmann’s Untersuchung gelesen hat, wird unbedenklich das
Urtheil Dıperor’s unterschreiben: „Jamais homme, peut-&tre, n’a autant lu,