Full text: Archiv für öffentliches Recht.Neunter Band. (9)

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dass eine Verantwortlichkeit ihre eigentliche Grundlage im Staatsrechte hat, 
braucht keineswegs nothwendig die Realisirung derselben durch Mittel und 
Formen auszuschliessen, welche dem Gebiete des Strafrechts angehören. Ich 
verweise etwa auf den strafrechtlich verfolgbaren Missbrauch des Wahlrechts, 
durch dessen Zugeständniss die Wähler zu staatlicher Organstellung berufen 
werden. Die Widerlegung der Lehre von der disziplinarrechtlichen Natur 
der Ministerverantwortlichkeit sucht Pıstorıus durch die bekannten Argu- 
mente zu erbringen, dass es gegenüber dem Minister an einem beamten- 
mässigen Dienstoberen, dessen Existenz für das Disziplinarrecht wesentlich 
sei, mangle, dass die Disziplin über einen Minister durch den Monarchen 
innerhalb der ihm zustehenden freien Entlassungsbefugniss ausgeübt werde. 
Wie immer man sich zu dem Ergebniss der angezeigten Schrift ver- 
halten mag, jedenfalls darf ihr die Anerkennung nicht vorenthalten werden, 
dass es Gedankenarbeit, nicht blosse Kompilation ist, die geboten wird. Auch 
die Behandlung der Detailfragen darf als anregend bezeichnet werden. 
Pısrtorıvs schränkt die Ministeranklage auf Verfassungsverletzung ein, 
und hält dafür, der vom Rezensenten für die Ausdehnung der Verantwort- 
lichkeit auf Gesetzesverletzung vorgebrachte Grund, dass viele Verfassungs- 
bestimmungen nur Grundsätze enthalten, die erst eines Ausführungsgesetzes 
bedürfen, um sich im Leben bethätigen zu können, sei schon desshalb nicht 
stichhaltig, weil die Verletzung eines solchen Ausführungsgesetzes in der 
Regel auch eine Verletzung des in der Verfassung enthaltenen Grundsatzes 
darstellen, sich demnach als Verfassungsverletzung qualifiziren werde. Viel- 
leicht möchte Pistoriıvs in seiner Ansicht doch schwankend werden, wenn 
er etwa Art. 12 des österreichischen Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen 
Rechte der Staatsbürger und die Einzelbestimmungen der österreichischen 
Gesetze über das Vereins- und Versammlungsrecht ins Auge fassen würde. 
Wenn Pıstorıus die Ausdehnung der Kompetenz des Staatsgerichtshofes auf 
Verfassungsverletzungen der Volksvertreter nicht prinzipwidrig, wohl aber 
unnöthig und unpraktisch erachtet, so stimme ich mit der Einschränkung zu, 
dass eine rechtlich geordnete Verantwortlichkeit des Kammer- 
präsidiums, welches an der Handhabung konstitutioneller Be- 
stimmungen und an der Lösung von Verfassungsfragen sehr 
häufig in ausschlaggebender Weise mitzuwirken berufen ist, de 
lege ferenda durchaus gerechtfertigt wäre. 
Beachtenswerth sind die Ausführungen des Verfassers über die Even- 
tualität einer Verletzung der Reichsverfassung durch einen einzelstaatlichen 
Minister. 
In Betreff der Instruktionsertheilung zum Bundesrathe richtet sich, wie 
Pıstorıvus zutreffend darthut, die ministerielle Verantwortlichkeit nach dem 
positiven Rechte der Einzelstaaten. Da die Möglichkeit einer Verfassungs- 
oder Gesetzesverletzung dem Wesen der Instruktionsertheilung widerstreitet, 
kann sie das Substrat einer Anklage überhaupt nur dann bilden, wenn —
	        
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