Full text: Archiv für öffentliches Recht.Neunter Band. (9)

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werk durch Feuer und Schwert verrichtet werde, daran nimmt ScHLIEF 
keinen Anstoss. Vielmehr sieht er in der Kolonialpolitik das für den 
frischen, fröhlichen Krieg reservirte Gebiet, wohin die überschüssige Kraft 
der europäischen Völker abfliessen könne. Aber auch hier werde die Soli- 
darität dieser Völker zum Durchbruch kommen, indem an die Stelle der 
kolonialen Rivalität eine gemeinsame Kolonialpolitik des europäischen Staaten- 
systems trete, zu welchem Zwecke die Bildung einer gemeinsamen Kolonial- 
armee durch Anwerbung Freiwilliger in’s Auge zu fassen sei. Erst auf der 
Grundlage einer so entwickelten Solidarität könne nun ein allgemeiner Ab- 
rüstungsvertrag gleichsam als Gesetz des europäischen Staatensystems wirk- 
sam werden, dessen Bruch eine Aktion aller Genossen gegen den Zuwider- 
handelnden hervorrufen würde. — Das sind die Grundzüge der „Friedferti- 
gung“ Europas. 
Von den Einzelheiten, die mit allzu lebhafter Phantasie ausgesponnen 
sind, kann man ganz absehen; der Verf. ist ja selbst bereit, sie preiszugeben. 
Vor allem gehört gewiss eine Neutralitätssee- oder Landmacht „als Reprä- 
sentantin der völkerrechtlichen Oberhoheit“ zu den Utopien, mit welchen 
auf diesem schwierigen Gebiet Erörterungen, die praktisch sein wollen, nicht 
belastet werden dürfen. Was den Kernpunkt, eine irgendwie geartete Organi- 
sation des europäischen Staatensystems, betrifft, so mag man von der Mög- 
lichkeit, ja meinetwegen der Wahrscheinlichkeit durchdrungen sein, dass sich 
dermaleinst die Dinge ungefähr so gestalten werden, wie es dem Verf. vor- 
schwebt. Aber selbst von diesem Standpunkte aus muss die Kritik rügen, dass 
SCHLIEF einigermassen das Verhältniss von Ursache und Wirkung auf den 
Kopf stellt. Eine Organisation des europäischen Staatensystems wäre nicht 
sowohl das Mittel als vielmehr das Resultat der „Friedfertigung“ Europas; 
in der Möglichkeit und vollends in der Verwirklichung einer solchen Organi- 
sation träte die Thatsache in die Erscheinung, dass der Zustand im wesent- 
lichen erreicht ist, den ScHLieEr eben mittels jener Organisation erst an- 
streben will. Gewiss ist auch diese Anschauung nicht zu absoluter Ein- 
seitigkeit zu überspannen; das organische Gesetz der Wechselwirkung gilt 
auch hier, und zweifellos würde das Bestehen solcher Organisation seinerseits 
wieder die „Friedfertigung“ des Welttheils erheblich befestigen. Zunächst 
jedoch müsste diese „Friedfertigung“ ganz anders entwickelt sein, als sie es 
zur Zeit ist, um jene Organisation zu ermöglichen. Das zeigt sich vor allem 
darin, dass ScHLIEF's ganzes System auf der Voraussetzung beruht, alle 
Händel zwischen europäischen Staaten seien Rechtsstreitigkeiten und 
folglich im Wege Rechtens zu entscheiden, während in Wahrheit viele und 
gerade die wichtigsten Konflikte mit der Rechtsfrage wenig oder nichts zu 
thun haben. Das sieht ScaLier auch in einer Hinsicht ein: bezüglich der 
„Stabilität“ des Gebiets. Dass mit der Feststellung, wer in der orientalischen, 
der elsass-lothringischen, der irredentischen Frage „Recht habe“, in Wirk- 
lichkeit gar nichts erreicht wäre, selbst wenn sich dies überhaupt feststellen
	        
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