Full text: Archiv für öffentliches Recht.Neunter Band. (9)

— 319 — 
bracht hat und dass das Sittengesetz nicht in der Religion, sondern 
mit der Religion und unabhängig von ihr in der Menschennatur wurzelt. 
Wenn er weiter ausspricht, dass das Christenthum allein seine grössten An- 
hänger vor den grössten Verirrungen und Lastern nicht zu schützen vermag, 
sondern dazu auch die Humanität der Alten gehört; wenn er ferner den 
Satz von den befreienden Wirkungen der Reformation als ungeschichtlich 
zurückweist und insbesondere von der Rechtfertigungslehre sagt, dass sie in 
der That überall „sorglose und verruchte* Leute gemacht. hat, so dürfen diese 
Gedanken wohl ausreichend erweisen, dass weder die katholische noch die 
protestantische Confession ihn als den ihrigen ansprechen kann. Das Bekennt- 
niss zu bestimmten positiven Glaubenssätzen der evangelischen oder der 
katholischen Kirche ist jedenfalls nirgends zu finden. 
Vielmehr steht der Verfasser auf rein theistischer Basis und vertritt 
eine esoterische Lehre für die Republik der Gebildeten und eine exoterische 
für den grossen Haufen, als im Interesse des Staatsganzen liegend, wie er 
verschiedentlich mehr oder weniger deutlich zu verstehen giebt. 
Berlin. A. Quitzke. 
Carl Jentsch, Weder Kommunismus noch Kapitalismus. Ein Vor- 
schlag zur Lösung der europäischen Frage. Leipzig. Verlag 
von Fr. Grunow 1893. 
Im ersten Theile des Werkes entwickelt der Verfasser seine Ansichten 
über die stets fortschreitende Entwickelung der bürgerlichen Gesellschaft nach 
kapitalistischer Richtung hin und die dringende Nothwendigkeit einer Radikal- 
kur, in Form einer scharfen Kritik des bekannten Werkes des züricher Professors 
JuLıus WoLrr: „Socialismus und kapitalistische Gesellschaftsordnung“, wo- 
bei er längere Rückblicke auf die Entwickelung der englischen und deutschen 
Arbeit, sowie auf ihre Ergebnisse wirft. Er kommt zu folgenden Schlüssen : 
Dem ärmeren Volke, also der Masse des Volkes, geht es wohl, so lange 
reichlich freier Grund und Boden vorhanden ist, m. a. W. so lange es dem 
Boden an Händen fehlt. Sobald ein Land nicht mehr eine genügende 
Masse Getreide und Fleisch producirt, um seine Bewohner zu ernähren, ist 
es übervölkert. Auf dem Gebiete der Landwirthschaft haben der als Ur- 
sachen der Noth bezeichnete ungünstige Kauf, das zu kleine Betriebskapital, 
die Verschuldung, in der durch die Uebervölkerung verursachten fortgesetzten 
Erbtheilung ihre gemeinsame Wurzel. Die Uebervölkerung, sei es die natür- 
liche, oder die künstlich erzeugte, (d. h. durch Landraub, z. B. in Irland, 
resp. die Verdrängung der Bauern durch Latifundienbesitzer) ist immer die 
eigentliche Ursache der Massennoth. Als Mitursache greift dann noch der 
Kapitalismus, d. h. hier die Uebertreibung und der Missbrauch des Rechtes 
des Privateigenthümers ein. Ausser Deutschland hält nun der Verfasser auch 
Belgien und Itslien übervölkert. Gegen die durch Uebervölkerung ent- 
standenen Nöthe giebt es kein anderes Rettungsmittel als Verminderung 
21*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.